„Wir haben das Problem, dass die Konjunktur richtig kollabiert“

Dr. Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbands der deutschen Banken
Dr. Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbands der deutschen Banken © Berenberg

PLATOW-Redakteur Jan Mallien und Herausgeber Albrecht Schirmacher im Interview mit Hans-Walter Peters, Ex-BdB-Präsident und Vorsitzender des Verwaltungsrats von Berenberg.

Herr Peters, Sie haben die EZB lange Zeit für ihre Niedrigzinspolitik kritisiert. Jetzt liegen die Zinsen nahe dem Rekordhoch. Sind Sie jetzt mit dem Kurs von Christine Lagarde zufrieden?
Nein, die EZB muss, um ihre Aufgabe zu erfüllen, vorausschauend handeln. Erst hat sie die Geldpolitik viel zu spät angezogen. Jetzt haben wir plötzlich das Problem, dass die Konjunktur, insbesondere in Deutschland, richtig kollabiert und die Wirtschaft kaum eine Perspektive hat. Das liegt natürlich nicht an der EZB, aber sie muss jetzt gegensteuern.

Die EZB hat im Juni die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte gesenkt und wird wahrscheinlich im September in gleicher Höhe nachlegen. Reicht das nicht?
Ich finde, man sollte jetzt ein Zeichen setzen mit einer Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine wirtschaftlich so schwierige Lage kommen, dass nachher eine Zinssenkung komplett verpufft. Je länger die EZB wartet, desto größer die Gefahr, dass sie die Zinsen dann wieder zu weit senkt.

Was heißt aus Ihrer Sicht zu weit?
Wenn sie beim Einlagenzins weit unter 3% geht, dann laufen wir in eine schwierige Situation, wenn die Inflation wieder steigt.

Viele Ökonomen gehen davon aus, dass die Zinsen deutlich unter 3% sinken müssen, damit die Geldpolitik die Wirtschaft stimuliert.
Ja, so sind die Erwartungen. Ich würde sagen, im aktuellen Umfeld ist eine Drei das Ziel, um dann zu sehen, wo sich die Inflation wirklich einpendelt.

Sie sprechen viel mit Unternehmen. Wie kritisch ist aus Ihrer Sicht die wirtschaftliche Lage?
Ich bin entsetzt, wie schlecht die Stimmung ist. Die Unternehmen sehen im Augenblick keine Perspektive für eine Erholung der Wirtschaft. Sie haben Wettbewerbsprobleme auf der Kostenseite, sie haben Arbeitskräftethemen, die sie nicht lösen können. Außerdem geht die Nachfrage in den wichtigen Märkten USA und China zurück. Ich glaube, dass die Arbeitslosigkeit stärker steigen wird als prognostiziert

Auch die Zahl der Insolvenzen nimmt zu.
Das ist ein großes Risiko. Wenn die Insolvenzzahlen steigen, ist es wahnsinnig schwer, das wieder zurückzuführen. Ich habe große Sorge, dass unsere Industrie in einen neuen Negativtrend läuft – und das können wir hier in Deutschland ganz bestimmt nicht gebrauchen.

Sie befürchten eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale?
Ja, davor habe ich große Sorgen.

In der Vergangenheit kamen die Rufe nach einer lockeren Geldpolitik eher aus Südeuropa. Aktuell geht es der deutschen Wirtschaft besonders schlecht. Hat sich das umgekehrt?
Ja, das ist so. Deutschland war eigentlich immer der wirtschaftliche Anker in Europa. Wenn Deutschland diese Position nicht wieder einnimmt, ist das für ganz Europa schlecht. Es hat also schwerwiegende Auswirkungen, wenn wir jetzt in der Geldpolitik einen Fehler machen.

Aber kann die EZB die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands lösen?
Natürlich haben wir auf der politischen und der strukturellen Seite noch ganz andere Probleme. Die kann die EZB natürlich nicht lösen. Aber sie kann zumindest den richtigen Rahmen setzen. So werden z.B. viel zu wenig Wohnungen gebaut, und das liegt u.a. auch an den hohen Zinsen.

EZB-Vertreter warnen nach wie vor Inflationsgefahren. Die Löhne steigen immer noch recht kräftig, auch die Preise für Dienstleistungen. Haben Sie keine Sorge, dass das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent weiter verfehlt wird?
Wir haben in Deutschland bereits eine Inflationsrate von 1,9%. Natürlich kann es sein, dass sie in den nächsten Monaten wieder etwas darüber liegt. Aber wenn man trotz schwacher Konjunktur erst reagiert, wenn sie nachhaltig bei 2% ist, dann kann das zur nächsten großen Fehlentwicklung werden. Mich ärgert, dass die EZB ihre Fehler der Vergangenheit nicht öffentlich aufgearbeitet hat. Und jetzt könnte sie davorstehen, den nächsten Fehler zu begehen.

Was meinen Sie genau?
In der Pandemie hat die EZB viel zu spät die Geldpolitik angezogen, weil sie einem unrealistischen Modell gefolgt ist, das die Angebotsseite nicht berücksichtigte. Dadurch hat sie viel zu lange an einer Inflationsprognose von 2% für die Zukunft festgehalten. Wenn die EZB ihre Politik an einem Modell ausrichtet, das in einer bestimmten Phase versagt hat, dann muss doch öffentlich klargemacht werden, nach welchem Modell sie jetzt entscheidet.

EZB-Vertreter argumentieren, dass die Kombination der Schocks durch die Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht vorhersehbar war.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war natürlich nicht vorhersehbar. Aber aufgrund von Corona musste man wissen, dass die Angebotsseite einen riesigen Schock bekommt. Wenn die EZB dann so eine expansive Geldpolitik betreibt, wie sie sie betrieben hat, dann ist die Geldmenge da für die hohe Inflation, die wir gesehen haben.

Sie haben in der Vergangenheit argumentiert, dass Zinserhöhungen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken verbessern. Würden dann nicht umgekehrt Zinssenkungen schaden?
Für die Banken sollte eine Senkung um einen halben Prozentpunkt kein Thema sein, obwohl es natürlich weh tut, wenn die Zinserträge geringer werden. Die Institute sind aber gut aufgestellt.

Auf der einen Seite helfen hohe Zinsen den Banken. Andererseits können sie auch zu mehr Insolvenzen und Kreditausfällen führen. Was bedeutet das unter dem Strich für die Branche?
Im Bankgeschäft gehört es dazu, dass der Zins schwankt. Jetzt ist es aber vordringlich, dass wir die Konjunktur wieder in Schwung bekommen. Was hilft es uns als Banken, wenn wir viele Kreditausfälle haben? Konjunktur und Stabilität der Unternehmen sind extrem wichtige Faktoren.

 

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