Update Lieferkettengesetz – Europäische Pläne könnte deutsche Regelungen aushebeln
Bereits kurz nachdem sich die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Arbeit und Soziales, Justiz und Verbraucherschutz sowie Wirtschaft und Energie auf einen Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz geeinigt hatten (s. a. PLATOW Recht vom 30.9.20 und 24.2.21), gab es neuen Streit wegen der Klagerechte und einzelner Details zur Reichweite der Sorgfaltspflichten.
Allerdings konnte diese Auseinandersetzung schnell beigelegt werden und am 3.3.21 beschloss das gesamte Bundeskabinett, einen geringfügig modifizierten Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren zu geben. „Der Regierungsentwurf enthält noch immer verschiedene Unschärfen, die die Rechtsanwendung erschweren können“, sagt Thomas Voland, Partner bei Clifford Chance. Das betrifft etwa die Pflichten im Hinblick auf mittelbare, also nicht „Tier 1“-Zulieferer. So muss ein Unternehmen z. B. eine Risikoanalyse durchführen und Präventionsmaßnahmen ergreifen, wenn es substantiierte Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern hat.
Nach der Gesetzesbegründung soll eine solche Kenntnis bereits dann vorliegen können, wenn in einer bestimmten Region (menschenrechtliche) Risiken generell bestehen oder wenn der Zulieferer einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken angehört. „Ein solch weites Verständnis kann dazu führen, dass in der Praxis die Vorgaben des Gesetzes tatsächlich für einen Großteil der Lieferkette und nicht primär für die unmittelbaren Zulieferer zu beachten sind“, so Voland weiter. Auch die Reichweite der Pflichten in Bezug auf umweltbezogene Belange ist unklar. Denn Umweltbeeinträchtigungen sind für die sehr weit gefassten Schutzgüter Luft, Wasser und Boden über die gesetzliche Definition menschenrechtlicher Risiken und in diesem Rahmen aufgeführter Regelbeispiele umfassend als Risiko definiert. „Eine Zusammenführung von Umweltschutz und Menschenrechtsschutz im Rahmen eines Gesetzes führt für die Normadressaten zu einer zusätzlichen Komplexität, zumal es für viele Umweltbelange an einem umfassenden, verbindlichen und international anerkannten Mindeststandard fehlt“, erläutert der Experte für deutsches und europäisches Regulierungsrecht. Ferner sind verschiedene Vorschriften von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt, die weiterer Konkretisierung bedürfen.
Sofern der Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren angenommen wird, bleibt die Frage spannend, wie er sich zu den angekündigten europäischen Regelungen verhalten wird. In Ergänzung zu sektorspezifischen Vorgaben für Konfliktmineralien und Batterierohstoffe hat das Europäische Parlament am 10.3.21 mit großer Mehrheit eine Entschließung zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen angenommen. Diese enthält auch diverse Empfehlungen an die EU-Kommission, darunter den Entwurf einer entsprechenden Richtlinie. Die Kommission ist an diese Empfehlungen zwar nicht gebunden, sie stellen aber ein starkes politisches Signal dar.
Die Kommission hat bereits angekündigt, im Sommer einen eigenen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen. „Wenn die Kommission ihre Pläne umsetzt, könnte das deutsche Gesetz weitgehend obsolet werden“, meint Thomas Voland. Denn es sollen deutlich mehr Unternehmen unabhängig von ihrer Größe und ihrem Sitz erfasst werden, die in der gesamten Lieferkette menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. „Auch wenn derzeit noch vieles im Fluss ist, lohnt es sich gleichwohl, die Compliance- und Governance-Systeme anzupassen, um Risiken schon jetzt weitestgehend zu minimieren und als ‚good corporate citizen‘ zu agieren“, empfiehlt Voland.
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