Wie weit sollte die Managerhaftung reichen?

Bis in die 1990er Jahre stand die Managerhaftung in Deutschland eher auf dem Papier, als dass sie in der Praxis geltend gemacht worden wäre. Seit jedoch der Bundesgerichtshof (BGH) 1997 im „ARAG/Garmenbeck“-Urteil festgestellt hat, dass der Aufsichtsrat verpflichtet ist, Haftungsansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu prüfen und i. d. R. auch zu verfolgen, gehört die Frage nach einer Haftung des ressortverantwortlichen Unternehmenslenkers zur Aufarbeitung jeder durch Fehlentscheidungen ausgelösten größeren Unternehmenskrise. Achim Glade, Partner der Düsseldorfer Kanzlei Glade Michel Wirtz, kommentiert die aktuelle Diskussion.

Die Spielregeln der Managerhaftung sind durch das ARAG/Garmenbeck-Urteil und § 93 AktG relativ klar umrissen: Der Vorstand muss im Rahmen des geltenden Rechts (einschließlich unternehmensinterner Vorgaben) handeln. Fällt er Entscheidungen, muss er diese allein im Unternehmensinteresse und auf informierter Grundlage fassen, inhaltlich sind sie dann aber nicht justiziabel. Zudem muss er seine Pflicht zur Überwachung des Gesamtunternehmens erfüllen. Erleidet das Unternehmen durch Vorstandshandeln oder -unterlassen einen Schaden, hat der Aufsichtsrat die Pflicht zu ermitteln, ob dieser auf einer schuldhaften Verletzung einer oder mehrerer der vorgenannten Pflichten beruht. Bejaht er dies, darf er von einer Verfolgung der Ansprüche nur absehen, wenn gewichtige Interessen des Unternehmens dies fordern.

Haftungsfrage droht auszuufern

Während durch den Bundesgerichtshof und den Gesetzgeber damit ein in der Vergangenheit ohne Zweifel bestehender Missstand ausgeglichen wurde, machen sich in der deutschen Unternehmenspraxis mittlerweile jedoch selbstverstärkende Effekte bemerkbar, deren Sinnhaftigkeit bezweifelt werden darf. Stand zudem zunächst im Aufsichtsrat nur die sachliche Frage im Mittelpunkt, ob der für eine Krise verantwortliche Manager in Haftung genommen werden soll oder nicht, beschäftigt die Aufsichtsratsmitglieder inzwischen vornehmlich ein ganz anderes Problem: Sie müssen sich Sorge machen, selbst persönlich in Anspruch genommen zu werden, wenn sie auf die Geltendmachung von Regressansprüchen aus Gründen verzichten, die später einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Dies fördert die Neigung, sich im Zweifel für einen Haftungsprozess zu entscheiden. Hinzu kommt ein Weiteres: Angesichts der derzeit die Tagespresse dominierenden Diskussion um die Verantwortung auch des Aufsichtsrats für spektakuläre Fehlentwicklungen ist zu erwarten, dass sich Aufsichtsräte nicht nur durch die medienwirksame vorzeitige Abberufung von Topmanagern, sondern auch durch spektakuläre Haftungsprozesse gegen diese selbst aus der Schusslinie zu nehmen versuchen. Fazit: Der Ruf nach Vorstandshaftung ertönt immer früher.

Noch folgt die öffentliche Meinung diesem Trend. In der juristischen Diskussion macht sich aber mittlerweile eine korrigierende Strömung deutlich bemerkbar. Anerkannte Professoren und Anwälte sprechen sich, flankiert von Veröffentlichungen des ehemaligen Vorsitzenden des Gesellschaftsrechtssenats des Bundesgerichtshofs, dafür aus, das System der Vorstandshaftung in Deutschland zu revidieren bzw. neu zu ordnen.

Den Befürwortern einer eingeschränkten Managerhaftung geht es nicht darum, Manager wieder frei von jeder praktisch relevanten Haftung agieren zu lassen. Gerade wer Verantwortung trägt und sich hierfür entsprechend vergüten lässt, muss auch für die Konsequenzen etwaigen schuldhaften Fehlverhaltens gerade stehen. Eingedämmt werden sollen aber die negativen und wenig zielführenden Auswüchse der Entwicklung der vergangenen Jahre.

Für einen differenzierteren Umgang mit der Managerhaftung werden verschiedene Ansatzpunkte diskutiert. Gewichtige Stimmen wollen dem Aufsichtsrat wieder mehr Ermessen geben, ob und in welchem Umfang der Aufsichtsrat tatsächlich Schadenersatzansprüche durchsetzt. Das Unternehmensinteresse an einem Verzicht auf eine Anspruchsdurchsetzung muss also nicht so hoch sein wie bislang angenommen. Dieses Ergebnis erscheint sinnvoll, vermag aber nicht alle heute problematischen Fälle befriedigend zu lösen.

Ein weiterer Ansatz will jedenfalls bei Kartellrechtsverstößen die Systematik bei Bußgeldern auf die Höhe der zivilrechtlichen Innenhaftung übertragen. Die gesetzlichen Regelungen sehen für natürliche Personen Höchstbeträge für Bußgelder vor. Hier werden aber zwei verschiedene Rechtsbereiche mit unterschiedlicher Zielsetzung unzulässig verquickt.

Der überzeugendste Ansatz hat zum Ausgangspunkt, dass sich schuldhafte Fehler von Vorstandsmitgliedern auf Grund der unternehmerischen Aktivität des Unternehmens fast immer in äußerst hohen Schadensummen niederschlagen, die in einem Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Verursachers stehen. Ähnlich wie bei normalen Arbeitnehmern müsse die Höhe der betragsmäßigen Haftung nach dem Grad des persönlichen Verschuldens und der relativen Leistungsfähigkeit reduziert werden. Hierdurch soll es möglich werden, auch ohne juristische Klimmzüge den sonstigen Verdienst des Managers um das Unternehmen zu berücksichtigen und dem betreffenden Vorstandsmitglied eine Existenzgrundlage zu belassen. Begründet wird dieser Ansatz mit einer Rücksichtnahmepflicht des Unternehmens gegenüber seinem Vorstand.

Schwere des Vergehens stärker gewichten

Richtig ist – unabhängig vom konkreten Lösungsweg –, dass die wachsende Tendenz, bei jedem schuldhaften Managementversagen den betreffenden Vorstand – sei es auch nur vorsorglich – in Regress zu nehmen, insbesondere in Fällen einfacher Fahrlässigkeit rechtzeitig eingedämmt werden muss. Solche Haftungsklagen belasten das Unternehmen oft über Jahre. Die Prämien für D&O-Versicherungen stiegen beständig. Zudem müssen sich Kandidaten für ein Vorstandsamt zunehmend die Frage stellen, ob sie bereit sind, ein faktisch unbegrenztes Risiko in Kauf zu nehmen, während die eigentlichen Nutznießer ihrer Arbeit, die Aktionäre, nur begrenzt auf ihren Geldeinsatz haften. Wünschenswert wäre es, wenn der Bundesgerichtshof in einem der auf Grund der Finanzkrise zahlreichen demnächst zu entscheidenden Fälle die Gelegenheit wahrnehmen würde, seine ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung auf die nächste Stufe zu bringen und es dem Aufsichtsrat zu ermöglichen, sowohl beim „Ob“ als auch beim „Wie“ der Anspruchsverfolgung, stärker zwischen einerseits grob fahrlässigen oder gar vorsätzlichen und andererseits einfach fahrlässigen Pflichtverletzungen zu differenzieren.

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