Wird der lange Arm der US-Justiz noch länger?

"Wird der „Foreign Manufacturers Legal Accountability Act“ in den USA Gesetz, drohen europäischen Herstellern von Verbraucherprodukten eine uneingeschränkte Gerichtspflichtigkeit in den USA oder Importverbote – und zwar nicht nur bei Produkthaftungsansprüchen und nicht nur bei Belieferung des US-Marktes. Das wird deutsche produzierende Unternehmen vor die Frage stellen, ob sie sich vor US-Prozessen noch schützen können, sagt Litigation-Spezialist Peter Stankewitsch, Partner der internationalen Anwaltssozietät Baker & McKenzie."

Hat ein deutsches Unternehmen das Pech, in den USA verklagt zu werden, kann dies schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Kläger haben fast kein Kostenrisiko, der Ausgang des Verfahrens ist bei „Jury“-Gerichten meist ungewiss und oft bleibt nur ein teurer Vergleich. Die in Deutschland fremde „Discovery“ zwingt jede Partei, alle nur irgendwie relevanten Dokumente der Gegenseite zur Verfügung zu stellen. Gerade die heute übliche Form der „e-Discovery“, bei der sämtliche elektronischen Dokumente professionell durchsucht werden, kostet den Beklagten oft siebenstellige Beträge und enormen Aufwand. Deutsche Unternehmen versuchen alles, um sich gegenüber Klagen in den USA auf die fehlende Zuständigkeit amerikanischer Gerichte zu berufen. Zwar gibt es in den meisten US-Einzelstaaten sog. Long Arm Statutes, aber auch dieser lange Arm der US-Justiz hat seine Grenzen. So, wenn das deutsche Unternehmen keinerlei Geschäfte in den USA tätigt oder eine klare vertragliche Regelung zu Gunsten der Gerichte oder Schiedsgerichte in Deutschland getroffen hat.

Foreign Manufacturers Legal Accountability Act

Hiermit könnte es bald vorbei sein, wenn sich die Obama-Administration mit dem derzeit im Gesetzgebungsprozess befindlichen „Foreign Manufacturers Legal Accountability Act“ durchsetzt. Auslöser dafür war die „Drywall-Litigation“. Chinesische Hersteller hatten schwefelhaltige Gipsplatten in die USA geliefert, die kostspielig ausgebaut werden müssen. Die chinesischen Hersteller ließen sich auf einen Schadensersatzprozess in den USA nicht ein. Eine Klage wirksam in China zuzustellen, ist schwierig und teuer, sodass sich US-Verbraucher schutzlos sahen. Daraus resultierte schließlich erheblicher politischer Druck in den USA: Es könne nicht sein, dass ausländische Hersteller ihre Produkte in den USA billig verkaufen, und sich dann ihrer Verantwortung im Falle eines US-Prozesses einfach entziehen.

Die US-Lösung: Jeder Hersteller von Verbraucherprodukten – mit Ausnahme von Kraftfahrzeugen – und chemischen Substanzen, die in die USA importiert werden, muss künftig einen Zustellungsbevollmächtigten in den USA benennen. Dieser muss öffentlich registriert und im Internet publiziert werden und ist für den Empfang aller Klagen in den USA gegen den Hersteller zuständig. So wird es ein leichtes sein, eine Klage an diesen Zustellungsbevollmächtigten zu schicken, um das ausländische Unternehmen in den USA gerichtspflichtig zu machen. Der Import eines ausländischen Verbraucherprodukts in die USA soll nur noch erlaubt sein, wenn das Produkt einschließlich sämtlicher Bestandteile durch Hersteller mit entsprechendem Zustellungsbevollmächtigten in den USA produziert wurde.

Weitreichende Auswirkungen

Für einen europäischen Hersteller, der einen Zustellungsbevollmächtigten in den USA registrieren lässt, wird die Neuregelung eine unbegrenzte Gerichtspflichtigkeit in den USA zur Folge haben und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dort verklagt zu werden. Erstaunlicherweise enthält der Gesetzesentwurf keine Einschränkung auf Klagen im Zusammenhang mit dem importierten Produkt. Wenn etwa der deutsche Betreiber einer Warenhauskette sich in den USA registrieren lässt, weil er einzelne Sortimentsprodukte in die USA liefern lässt, könnte er künftig auch dann in den USA verklagt werden, wenn eine amerikanische Touristin bei ihrem Deutschlandbesuch auf dem feuchten Boden eines seiner Warenhäuser in München ausrutscht.

Auch ein deutscher Zulieferer ohne US-Exportgeschäft wird sich dem langen Arm der US-Justiz schwer entziehen können. Da US-Importeure zur Vermeidung von Sanktionen sicherstellen müssen, dass nicht nur das importierte Produkt selbst, sondern auch alle seine Bestandteile nur von in den USA registrierten Herstellern stammen, liegt es nahe, dass der Importeur oder auch der Hersteller des Endprodukts zukünftig von allen Zulieferern einen entsprechenden Registrierungsnachweis verlangt. Wenn sich ein mittelständischer Zulieferer für den Inlandsmarkt nicht erlauben kann, auf jede Geschäftsbeziehung mit Kunden zu verzichten, über die das Zulieferprodukt direkt oder über weitere Produktions- und Handelsstufen auch in die
USA gelangen kann, bleibt ihm nur die US-Registrierung.

Ausblick

Auf Grund der geänderten Mehrheitsverhältnisse nach den letzten Kongresswahlen sind auch in den politischen Gremien der USA die Zweifel an dem Gesetzesentwurf gestiegen. So macht man sich Sorgen, dass Staaten wie China ähnliche Gesetze erlassen könnten, die zukünftig jedem US-Unternehmen, das seine Produkte nach China liefern will, eine Registrierungs- und uneingeschränkte Gerichtspflichtigkeit vor den staatlichen chinesischen Gerichten auferlegt. Deutsche und europäische Wirtschaftsverbände sollten das Thema auf ihrer Agenda haben, wenn sie verhindern wollen, dass zukünftig fast jedes deutsche produzierende Unternehmen uneingeschränkt in den USA verklagt werden kann.

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