Wird die Unternehmensstrafverfolgung privatisiert?
Bereits seit Jahren wird die Einführung eines so genannten Unternehmensstrafrechts diskutiert. Auf Grundlage des Koalitionsvertrags, in dem eine gesetzliche Neuregelung vorgesehen ist, hat das Bundesjustizministerium Ende August 2019 den Entwurf für ein Verbandssanktionengesetz vorgelegt. Sollte der Entwurf Gesetz werden, wird er weitreichende Konsequenzen für Unternehmen, deren Verantwortliche, die anwaltliche Beratungspraxis sowie die Justiz haben, meinen Christian Schoop und Emanuel Ballo, Partner bei DLA Piper.
Der Entwurf verschärft zunächst geltendes Recht. Staatsanwaltschaften sollen künftig verpflichtet sein, Ermittlungen einzuleiten, wenn der Verdacht einer „unternehmensbezogenen Straftat“ besteht. Ab Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen das Unternehmen werden diesem die Rechte eines Beschuldigten eingeräumt. Der Sanktionsrahmen soll massiv erhöht werden. Für Unternehmen mit einem Umsatz über 100 Mio. Euro p. a. sind „Verbandsgeldsanktionen“ von bis zu 10% des weltweiten Jahresumsatzes vorgesehen. Auch soll es möglich sein, die Verurteilung des jeweiligen Unternehmens öffentlich bekannt zu machen, wenn eine große Anzahl von Personen geschädigt wurde. Ferner soll es als „Auflage“ möglich sein, einen Sachverständigen („Compliance-Monitor“) einzusetzen, der das Unternehmen bei den Maßnahmen zur Vermeidung zukünftiger Unternehmensstraftaten überprüft. Als schärfste Sanktion ist – unter sehr strengen Voraussetzungen – die „gesellschaftsrechtliche Todesstrafe“ vorgesehen, die Auflösung des Verbandes. Führt das betroffene Unternehmen nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine unabhängige interne Untersuchung durch, kann die Sanktion nach dem Gesetzesentwurf gemildert oder ganz ausgesetzt werden.
Privatisierung staatlicher Ermittlungsverfahren
Im Gesetzesentwurf werden diese unternehmensinternen Untersuchungen erstmals gesetzlich geregelt. Die Aussicht auf erhebliche Sanktionsmilderung soll bei Unternehmen den Anreiz schaffen, derartige Untersuchungen durchzuführen. Voraussetzung für diese Sanktionsmilderung ist, dass die Untersuchung wesentlich zur Aufklärung der Unternehmensstraftat beiträgt. Ist der zugrundeliegende Sachverhalt bereits im Wesentlichen ermittelt, bleibt für eine Milderung kein Raum.
Weiterhin müssen Unternehmensverteidigung und interne Untersuchung funktional getrennt werden. Sie dürfen zwar von der gleichen Rechtsanwaltskanzlei durchgeführt werden, allerdings muss durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass Verteidigung und interne Untersuchung getrennt sind. Darüber hinaus muss das Unternehmen ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Ermittlungsbehörden kooperieren und diesen den Abschlussbericht sowie alle wichtigen Dokumente zur Verfügung stellen. Von ganz wesentlicher Bedeutung ist dabei, dass sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit dieser Sachverhaltserhebung keinem Beschlagnahmeschutz unterliegen sollen und die Ermittlungsbehörden jederzeit auf sie zugreifen können.
Für die Durchführung interner Untersuchungen sollen die Grundsätze eines fairen Verfahrens gelten. Danach müssen Mitarbeiter z. B. darüber belehrt werden, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können, dass sie einen Anwalt oder ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen können und dass sie die Auskunft verweigern können, wenn sie sich selbst belasten müssten.
Fazit
Die Regelungen zu den internen Untersuchungen, mithin die Übertragung des staatlichen Ermittlungsauftrags auf Unternehmen, sind nicht unproblematisch. Um das eigene Sank-tionsrisiko belastbar beurteilen zu können, kann es für Unternehmen sinnvoll sein, vorab eine eigene interne Untersuchung durchzuführen, um auf dieser Grundlage beurteilen zu können, ob es überhaupt sinnvoll ist, umfassend zu kooperieren und inkriminierende Sachverhalte offenzulegen. Es ist nach dem Gesetzesentwurf fraglich, inwieweit die von der Verteidigung durchgeführte interne Sachverhaltsaufklärung vom Beschlagnahmeschutz erfasst ist.
Faktisch führt der Gesetzesentwurf dazu, dass die Ermittlung des fraglichen Sachverhalts privatisiert und weitgehend auf die Unternehmen übertragen wird. Die Ermittlungsbehörden könnten sich maßgeblich auf die unternehmensintern gewonnenen Ergebnisse stützen und ihre eigenen, notorisch knappen Ressourcen, schonen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sollte darauf hingewirkt werden, dass die geplante Privatisierung der Strafverfolgung nicht zu Lasten fundamentaler rechtsstaatlicher Prinzipien geht. Eines dürfte aber bereits heute klar sein: Die Durchführung unternehmens-interner Untersuchungen wird durch die Einführung eines Verbandssanktionengesetzes weiter an Bedeutung gewinnen.
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