Vollzugsverbot – Doppelter Normverstoß gleich doppeltes Bußgeld?
Das Verbot des Vollzugs anmeldepflichtiger Transaktionen vor Freigabe durch die zuständige Wettbewerbsbehörde (so genanntes Vollzugsverbot) rückt zunehmend in den Fokus der kartellbehördlichen Praxis und ist bereits mehrmals zum teuren Stolperstein für Unternehmen geworden (s. a. PLATOW Recht v. 7.8.19). In einer Reihe von Entscheidungen hatten sich das Bundeskartellamt und der Bundesgerichtshof (BGH) sowie die europäischen Counterparts, namentlich die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof (EuGH), mit der Reichweite des Vollzugsverbots zu befassen.
„In der Sache haben die Entscheidungen leider nicht zu der dringend notwendigen Rechtssicherheit und -klarheit geführt“, meint Kartellrechtsexperte Marcel Nuys von Herbert Smith Freehills. Im Gegenteil: „Die Entscheidungen lassen viele Fragen offen und deuten teilweise ein unterschiedliches Verständnis nach deutschem und europäischem Recht an“, ergänzt seine Brüsseler Kollegin Juliana Penz-Evren.
Die Rechtssache Marine Harvest
In der Rechtssache Marine Harvest (Az.: C-10/18 P) hat sich der EuGH erneut mit einer Rechtsfrage zum Vollzugsverbot zu befassen. Konkret geht es um Folgendes: Der norwegische Lachszüchter und -verarbeiter Marine Harvest ASA erwarb im Dezember 2012 zunächst 48,5% der Anteile des Wettbewerbers Morpol ASA. In weiterer Folge machte Marine Harvest ein öffentliches Übernahmeangebot für die restlichen Morpol-Anteile. Bei der EU-Kommission wurde die Transaktion erst im August 2013 angemeldet und Ende September 2013 – unter Auflagen – freigegeben. Nach Ansicht der EU-Kommission erlangte Marine Harvest bereits mit Erwerb der Beteiligung von 48,5% de facto die alleinige Kontrolle über Morpol. Da zudem die Umsatzschwellen für eine Anmeldepflicht überschritten waren, verhängte die EU-Kommission eine Geldbuße über 10 Mio. Euro wegen eines Vollzugsverbotsverstoßes. Zusätzlich wurde eine Geldbuße von 10 Mio. Euro auferlegt, weil keine formelle Anmeldung der Transaktion durch Marine Harvest bei der EU-Kommission vor Erwerb des 48,5%-Anteils erfolgt war.
Verhältnis von Vollzugsverbot und Anmeldepflicht
Der EuGH muss u. a. entscheiden, ob die EU-Kommission sowohl eine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot und – zusätzlich – wegen der Nichtanmeldung der Transaktion verhängen durfte. Generalanwalt Evgeni Tanchev hat sich in seinen Schlussanträgen vom 26.9.19 gegen die Verhängung von zwei Geldbußen ausgesprochen. Der Generalanwalt hält das Vollzugsverbot für die speziellere Vorschrift, hinter die ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht zurücktrete. Bei Vollzug eines (anmeldepflichtigen) Zusammenschlusses ohne vorherige Anmeldung und Freigabe liege nur ein Normverstoß vor, nämlich der gegen das Vollzugsverbot.
Der EuGH ist nicht an die Auffassung des Generalanwalts gebunden. Gleichwohl wäre es zu begrüßen, wenn sich der EuGH der Auffassung des Generalanwalts anschließt, meint Kartellrechtler Nuys. „Rechtsstaatlich wäre es höchst bedenklich, wenn Unternehmen zweifach bestraft werden könnten, obschon beiden Vorschriften, also Vollzugsverbot und Anmeldepflicht, eine völlig identische Ratio zu Grunde liegt.“
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