Entbürokratisierung von Ermittlungen im Ausland

Für deutsche Ermittlungsbehörden ist in Wirtschaftsstrafsachen in der Regel an der Staatsgrenze Schluss. Dem Phänomen grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität ist so nicht zu begegnen. Ab Frühjahr 2017 wird sich das ändern, wenn in der Europäischen Union neue Regeln für die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung in Strafsachen in Kraft treten. Auch wenn der Praxistest noch aussteht, so erwartet Helmut Görling, Partner bei Herbert Smith Freehills Germany, doch deutliche Vorteile für die grenzüberschreitende Strafverfolgung.

Die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen soll bis zum 22. Mai 2017 durch Änderungen im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in nationales Recht umgesetzt werden. Sie vereinfacht und beschleunigt die grenzüberschreitende Beschaffung von Beweismitteln durch ein einheitliches, transparentes Verfahren mit Vollstreckungsfristen, einem Standardformular, mit dem die Behörden im Anordnungsstaat die Behörden im Vollstreckungsstaat zu Ermittlungen auffordern.

Die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA)
Die EEA wird im Anordnungsstaat durch einen Richter oder Staatsanwalt erlassen oder bestätigt, wenn eine Polizei- oder Verwaltungsbehörde die EEA erlässt. Sie bezeichnet die begehrte Ermittlungsmaßnahme und die zu erhebenden Beweismittel sowie die strafbaren Handlungen, die Anlass für die angeforderten Ermittlungen geben. Die EEA erfasst nahezu alle Arten grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen, wie die Vernehmung per Video- oder Telefonkonferenz, die zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen zu Zwecken der Beweiserhebung, die Telekommunikationsüberwachung, die Übermittlung von Informationen über Bankkonten und die Überwachung von Bankgeschäften. Auch kann der Anordnungsstaat eine EEA erlassen, um die Vernichtung, Veränderung, Entfernung, Übertragung oder Veräußerung von Beweismitteln zu verhindern.
Um die Verwertbarkeit der im EU-Ausland erhobenen Beweise im Anordnungsstaat sicherzustellen, kann die Anordnungsbehörde nach Art. 9 Abs. 2 bestimmte Verfahrens- und Formvorschriften vorgeben, die die Vollstreckungsbehörde zu beachten hat (bspw. die Belehrung über ein eventuell bestehendes Aussageverweigerungsrecht). Die zuständige Behörde im Vollstreckungsstaat ist grundsätzlich verpflichtet, eine ihr übermittelte Anordnung ohne weitere Formalität anzuerkennen und die begehrte Ermittlungsmaßnahme in derselben Weise und unter denselben Modalitäten auszuführen, als wäre sie von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden.

Voraussetzungen für den Erlass der Anordnung
Die Anordnung muss für das Verfahren erforderlich und verhältnismäßig sein. Die begehrte Ermittlungsmaßnahme muss nach dem Recht des Anordnungsstaats in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall und unter denselben Bedingungen zulässig sein. Hat die Vollstreckungsbehörde Grund zur Annahme, dass die gewünschte Ermittlungsmaßnahme nicht erforderlich oder unverhältnismäßig ist, so kann sie die erbetene Unterstützung ablehnen oder ersatzweise auf eine weniger eingriffsintensive, aber ebenso wirksame Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen.

Ist die begehrte Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreck-ungsstaats nicht vorgesehen oder wäre sie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zulässig (etwa weil sie nur zur Verfolgung besonders schwerer Taten oder nur mit Zustimmung des Betroffenen vorgesehen ist), so hat die Vollstreckungsbehörde – soweit möglich – auf eine alternative Maßnahme zurückzugreifen. Andernfalls muss sie die begehrte Beweiserhebung verweigern. Allerdings enthält die Richtlinie eine Positivliste von weniger eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen, die stets zur Verfügung stehen müssen: die Herausgabe bereits vorliegenden Beweismaterials, die Abfrage von Datenbanken der Polizei- und Justizbehörden, Vernehmungen, nicht invasive Ermittlungseingriffe sowie die Identifizierung von Telefonanschluss- und IP-Adressen-Inhabern. Eine gänzliche Verweigerung der Ausführung der begehrten Maßnahme ist nur in eng begrenzten Fällen möglich.

Verbindliche Fristen
Die Vollstreckungsbehörde hat spätestens 30 (notfalls 60) Tage nach Eingang der Ermittlungsanordnung zu entscheiden, ob sie dieser nachkommt. Die Ermittlungsmaßnahme hat sie unverzüglich (max. 90 Tage später) durchzuführen. Somit liegen zwischen Eingang der EEA und Beweiserhebung nach Ausschöpfung aller Fristen max. fünf Monate. Aufschieben kann die Vollstreckungsbehörde die Durchführung nur, wenn andernfalls laufende Ermittlungen behindert würden oder die angeforderten Beweismittel bereits anderweitig verwendet werden.

Fazit: Zwar unterliegen Beweiserhebung und -transfer nach Umsetzung der Europäischen Ermittlungsanordnung nicht völlig neuen Regeln. Doch durch die Einführung des beschleunigten, formalisierten Verfahrens werden – wie die Erfahrung mit dem Europäischen Haftbefehl vermuten lässt – Bedeutung, Häufigkeit und Umfang der grenzüberschreitenden Beweismittelbeschaffung stark vereinfacht und entbürokratisiert. Die EEA wird den Ermittlungsbehörden in grenzüberschreitenden Fällen ein effektiveres Arbeiten ermöglichen. Inwieweit die Justiz das neue Instrument in der Praxis annimmt, wird sich freilich erst erweisen müssen.

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