EU-Kommission will Kartellopfer besser schützen
Die EU-Kommission möchte Opfern von Kartellverstößen helfen, leichter Schadenersatz zu erlangen. Anfang Juni hat sie einen entsprechenden Richtlinienentwurf verabschiedet. Zudem sollen die Mitgliedstaaten Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes wie Sammelklagen einführen. Damit könnte das Schadenersatzrisiko für Unternehmen weiter wachsen, wie Maxim Kleine und Silvanne Helle, Partner der Sozietät Oppenhoff, erläutern.
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Nur in 25% aller Kartellverfahren, in denen die EU-Kommission in den vergangenen sieben Jahren Bußgeldentscheidungen erlassen hat, haben die Opfer der Kartelle anschließend Schadenersatz von den Kartellanten verlangt. Die Chancen auf Entschädigung sind in erheblichem Maße davon abhängig, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind, da sich die prozessrechtlichen Vorschriften stark unterscheiden. Eine Richtlinie würde in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden. Auch in Deutschland fordern Unternehmen, die Kartellopfer wurden, bislang nur unregelmäßig Schadenersatz; in den wenigen Verfahren kommt es oft zu einem Vergleich.
Beweiserleichterung im deutschen Recht
Der Richtlinienentwurf bestimmt u. a. eine Beweisregelung, die für das deutsche Recht eine erhebliche Erleichterung für die Geschädigten bedeutet. Mitgliedstaaten müssen danach gewährleisten, dass ihre Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen die Offenlegung von Beweismitteln durch Beklagte oder Dritte anordnen können. Voraussetzungen: Ein Kläger hat mit zumutbarem Aufwand Tatsachen dargelegt, aus denen sich plausible Gründe für einen Verdacht ergeben, dass er durch eine Zuwiderhandlung des Beklagten gegen europäisches Kartellrecht verursachte Schäden erlitten hat. Die Offenlegung von Beweismitteln soll verhältnismäßig sein; bei der Abwägung sind die Wahrscheinlichkeit des Kartellrechtsverstoßes, der Umfang und die Kosten der Offenlegung, die Vertraulichkeit der offenzulegenden Beweismittel sowie die Spezifizierung des Antrags zu berücksichtigen. Vertrauliche Informationen sollen geschützt werden, gesetzliche Privilegien und sonstiges Recht, das die Offenlegung von Beweismitteln verhindert, soll wirksam bleiben. Wenngleich sich die Kommission um eine Wahrung der Verhältnismäßigkeitsregeln bemüht, ähnelt der Vorschlag stark der aus dem angelsächsischen Recht bekannten „Discovery“-Regelung. Der Richtlinienentwurf geht erheblich weiter als die im deutschen Prozessrecht bisher bekannte sogenannte „Sphären-Theorie“, wonach der Prozessgegner nur unter strengeren Voraussetzungen zur Herausgabe von Beweismitteln verpflichtet werden kann.
Mit einer solchen Regelung wäre indes das derzeit größte Problem bei Klagen auf Schadenersatz wegen Verstößen gegen das Kartellrecht zu lösen: der Beweis über die Schadenhöhe. Grundsätzlich hat nur der kartellierende Hersteller bzw. Händler die erforderlichen Informationen, um die Schäden seiner Abnehmer zu bestimmen; nur aufgrund seiner Dokumentation kann durch eine Vergleichsbetrachtung festgestellt werden, welche Schäden seinen Abnehmern durch das Kartell entstanden sind.
Kronzeugen
Der Richtlinienentwurf beschränkt die Akteneinsicht in Kronzeugenunterlagen und Vergleichsregelungen über Bußgelder – und beschneidet damit deutlich das nach der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland geltende Akteneinsichtsrecht in Unterlagen von Kartellbehörden. Nach der Strafprozessordnung hat ein Geschädigter dieses Recht, soweit er ein berechtigtes Interesse darlegen kann. Tatsächlich gewähren die deutschen Gerichte gegenwärtig diesen Anspruch nicht, um die Kronzeugenprogramme zu schützen. Sie liegen damit auf einer Linie mit dem Bundeskartellamt, der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Richtlinie würde den deutschen Gesetzgeber jedenfalls zwingen, eine – ohnehin überfällige – gesetzliche Grundlage für die gegenwärtig praktizierte Einschränkung des in der Strafprozessordnung vorgesehenen Akteneinsichtsrechts zu schaffen. Ob es aber erforderlich ist, den Kronzeugen im Verhältnis zu den Geschädigten besser zu stellen als andere Kartellanten, erscheint fraglich.
Erfolgschancen zweifelhaft
Die EU erhofft sich indes von einem weitergehenden Schutz von Kronzeugen eine unveränderte Bereitschaft zu „Selbstanzeigen“ und damit weiter viele offengelegte Kartelle. Der Richtlinienentwurf beschränkt deshalb auch die gesamtschuldnerische Haftung von Kronzeugen. Sie sollen nicht dem Risiko ausgesetzt werden, regelmäßig als erste verklagt zu werden, weil gegen sie als erstes eine rechtskräftige Ent-scheidung verhängt werden kann. Schließlich lässt die Kommission auch die bereits vom Bundesgerichtshof anerkannte Schadenabwälzung zu – der beklagte Kartellant kann sich danach wirksam mit dem Argument wehren, dass der Kläger den kartellbedingten Preisaufschlag an die eigenen Kunden weitergegeben habe.
Im Ergebnis hat die Kommission mit ihrem Entwurf einen langen Schritt in Sachen Kartellschadenersatz getan. Nicht zuletzt wegen der Vorschläge zur Offenlegung von Dokumenten bleibt aber abzuwarten, ob die Richtlinie in der jetzt vorgeschlagenen Fassung tatsächlich Erfolgschancen haben wird.
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