Zur Kündigung von zuteilungsreifen Bausparverträgen

Streitigkeiten darüber, ob die Kündigung alter Bausparverträge rechtlich wirksam ist, beschäftigt den deutschen Gerichtsapparat seit Jahren. Am 21. Februar 2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt in einem Rechtsstreit zwischen Bausparkassen und Verbrauchern entschieden. Ruft ein Kunde zehn Jahre nach Zuteilungsreife des Bausparvertrages das Baudarlehen nicht ab, darf die Bausparkasse den Vertrag kündigen. Damit sorgt der BGH für Rechtsklarheit. Ilja Ruvinskij, Partner bei der Kölner Kanzlei Kraus Ghendler Ruvinskij, bespricht die Urteile und erklärt, wieso die Diskussion um die Kündigung der Bausparverträge trotzdem nicht beendet ist.

Seit Ende 2014 kündigten die im Niedrigzinsumfeld strauchelnden Bausparkassen etwa 260 000 alte Verträge. Was sich für Verbraucher wie eine schreiende Ungerechtigkeit anfühlt, stellt für die Institute eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Nachdem die Rechtmäßigkeit der Kündigungen in der Rechtsprechung kontrovers beurteilt wurde, blickten alle Beteiligten hoffnungsvoll nach Karlsruhe. Dort entschied nun der BGH in gleich zwei Verfahren, dass Bausparkassen die Verträge zehn Jahre nach Zuteilungsreife kündigen dürfen (XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16). Hunderttausende Sparer sind hiervon betroffen.

Um die Problematik nachzuvollziehen, sollte man sich das Modell des Bausparens noch einmal vor Augen führen. Während der anfänglichen Ansparphase zahlt der Sparer ca. 40 bis 60% der Bausparsumme ein. Auf seine Zahlungen erhält er garantierte Zinsen – vor 20 Jahren lagen diese bei durchschnittlich 3% p. a. Wird die Zuteilungsreife erreicht, darf der Sparer ein zinsgünstiges Bauspardarlehen in Anspruch nehmen, er könnte theoretisch aber auch weitersparen und die Zinsen einstreichen. Genau das haben zahlreiche Sparer getan. Denn Kapitalanlagen mit vergleichbarer Rendite bei gleichem Sicherheitsfaktor sind im aktuellen Marktumfeld schlichtweg nicht zu haben.

Bausparkasse als schutzwürdige Darlehensnehmerin
Damit sollte nach dem Willen der Bausparkassen Schluss sein. Begründet wurden die Kündigungen mit dem „Wohl der Bausparergemeinschaft“. Technisch umgesetzt wurde die bundesweite Aktion mithilfe des § 489 BGB, einem Sonderkündigungsrecht für Kredite, die seit mehr als zehn Jahren laufen. Denn in der Ansparphase agiert die Bausparkasse gewissermaßen als Darlehensnehmerin. Das Kündigungsrecht nach § 489 BGB kommt allerdings erst zum Tragen, wenn das Darlehen „vollständig empfangen“ wurde. Nach Auffassung der Bausparkassen war diese Voraussetzung spätestens mit dem Eintritt der Zuteilungsreife erfüllt. Dem folgten einige Gerichte wie das OLG Hamm, andere hielten die Kündigungen wiederum für rechtswidrig. Die Zuteilungsreife begründe kein gesetzliches Kündigungsrecht, sondern sei eine spezifische vertragliche Situation, urteilte etwa das OLG Karlsruhe. Auch in Stuttgart gab das OLG Bausparern, die eine Kündigung nicht hinnehmen wollten, recht.

Nun hob der BGH die Stuttgarter Urteile auf. Das Darlehen gelte mit Erreichen der Zuteilungsreife für die Bausparkasse als voll empfangen im Sinne des § 489 BGB. Schließlich zahle der Sparer mit dem Ziel der künftigen Inanspruchnahme des Darlehens ein. Mit Erreichen der Zuteilungsreife habe er dieses Zweckdarlehen vollständig gewährt. Es verstoße überdies gegen den Sinn und Zweck der Bausparidee, alte Verträge weiterlaufen zu lassen, um sie als reine Geldanlage zu nutzen. Was man von dieser, gewiss auch politisch motivierten Entscheidung des XI. BGH-Senats hält, ist freilich eine Frage der Perspektive. Verbraucherschützer sind naturgemäß enttäuscht, der Kreditsektor erleichtert. Zumindest ist – darauf können sich beide Lager einigen – weitestgehend für Klarheit gesorgt. Die Kündigungswelle, die Ende 2016 in Erwartung eines Zeichens aus Karlsruhe pausierte, wird neuen Aufwind bekommen.

Vorbei ist die Diskussion um die Kündigung von Bausparverträgen aber wohl noch nicht. Nicht zu entscheiden hatte der BGH nämlich über die Frage, ob eine Kündigung auch dann rechtmäßig ist, wenn der Bausparvertrag im Vorfeld als eine Kapitalanlage beworben und als eine solche auch abgeschlossen wurde. Schließlich zahlten Bausparkassen für einige Verträge sogar Bonuszinsen, wenn die Guthaben nicht abgerufen wurden. In solchen Konstellationen dürfte das Argument der Zweckgebundenheit der Darlehen nicht mehr verfangen. Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang ferner, ob die Kündigungsrechte der Bausparkassen infolge ihrer langjährigen Nichtausübung möglicherweise verwirkt sind. Mit diesem Einwand hatte sich der BGH (noch) nicht auseinandergesetzt.

Freies Kapital und neue Gebühren
Infolge der Kündigungen werden den Bausparern ihre Guthaben ausbezahlt. Milliarden, die wieder in den Kapitalmarkt fließen dürften. Dass die Bausparkassen diese Mittel akquirieren werden können, bleibt zu bezweifeln. In der scheinbar endlosen Niedrigzinsphase ist die Branche ohnehin angeschlagen. Wie verzweifelt die Bausparkassen inzwischen sind, zeigt etwa die Einführung neuer Gebühren für Bestandsverträge. Die jährlichen Servicepauschalen belaufen sich auf bis zu 24 Euro und sollen die Verwaltungskosten kompensieren. Juris-tisch gesehen, stehen die neuen Gebühren auf wackeligen Beinen. Denn hier geht es im Wesentlichen um die Kontoführung und diese stellt beim Bausparvertrag keine Hauptleistung der Sparkasse dar. Anders als bei Girokonten, geht es bei Bausparverträgen primär um die spätere Bereitstellung eines Darlehens. Nach der bisherigen Linie des BGH wäre die Gebühr unrechtmäßig. Es ist daher wahrscheinlich, dass Karlsruhe sich bald auch mit dieser Thematik beschäftigen wird.

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