Vergütungspflicht – Wege aus dem Kostenlabyrinth
Corona wirft zahlreiche Rechtsfragen auf _ Ohne Arbeit kein Geld. Klingt banal, ist es aber nicht. Dies wurde seit über einem Jahr Corona sehr deutlich. Corona wirft mit Blick auf das Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlreiche (neue) Rechtsfragen auf. Mit der Suche nach Antworten auf die Frage, wann der Arbeitgeber eine Vergütung schuldet, obwohl coronabedingt keine Arbeitsleistung erfolgt, beginnt eine unsichere Reise durch vielfältige Fallkonstellationen und Rechtsansichten. Bernd Pirpamer, Partner bei Eversheds Sutherland und Fachanwalt für Arbeitsrecht, gibt einen Überblick.
In einfachen Worten besteht eine Vergütungspflicht nur dann, wenn der Arbeitnehmer arbeitet oder bei Nichtarbeit ein Entgeltersatzanspruch besteht. Was aber, wenn ein Mitarbeiter coronabedingt „ausfällt“? Erkrankt der Mitarbeiter an dem Coronavirus, besteht ein gesetzlicher Entgeltfortzahlungsanspruch. Dies kann jedoch fraglich sein, wenn der Mitarbeiter gegen innerbetriebliche Schutzmaßnahmen verstoßen oder sich die Infektion leichtfertig in einem Gefahrengebiet zugezogen hat. Wann dies der Fall ist, obliegt einer Einzelfallprüfung. Bei einer behördlich angeordneten Quarantäne steht § 616 BGB im Mittelpunkt, wonach der Arbeitgeber einen unverschuldeten vorübergehenden Arbeitsausfall weiterbezahlen muss. Häufig wird dieser Paragraph in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen aber ausgeschlossen, sodass man auf den Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz zurückgreifen kann. Ob der Arbeitgeber zahlt oder eine Entschädigungsleistung nach dem Infektionsschutzgesetz erhält, hängt u. a. davon ab, ob § 616 BGB abbedungen ist und ob eine unverschuldete vorübergehende Arbeitsverhinderung vorliegt.
Ausfall wegen Betreuung oder Betriebsschließung
Alle aufgeworfenen Fragen unterliegen der Prüfung im Einzelfall. Speziell, ob die Tür zum Infektionsschutzgesetz überhaupt eröffnet ist. Was aber, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig, aber sein Kind am Coronavirus erkrankt ist? Für betreuungspflichtige Kinder dürfte u. a. wieder ein Anspruch gegen den Arbeitgeber nach § 616 BGB vorliegen, wenn dieser wiederum nicht abbedungen wurde und die Erkrankung des Kindes unverschuldet erfolgte. Unklar ist die Dauer dieses Anspruchs. Und was, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, aber die Kinder wegen geschlossenen Schulen und Kitas betreut werden müssen? Wieder greift § 616 BGB, zumindest solange der Arbeitnehmer typischerweise benötigt, um eine Ersatzbetreuung zu organisieren. Ergänzend können Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG bestehen.
Nicht selten hat der Arbeitgeber einen Infektionsverdacht gegenüber dem Mitarbeiter und schickt diesen vorsorglich in Quarantäne, bis dieser Verdacht enthärtet oder bestätigt wird. Was gilt in diesem Fall? Hier wird der Entfall der Zahlungspflicht des Arbeitgebers wegen Unmöglichkeit diskutiert. Andererseits wird wiederum auf den Zahlungsanspruch nach § 616 BGB verwiesen. Wer zahlt, wenn sich der Arbeitnehmer aus Angst vor einer Infektion nicht in den Betrieb „traut“? Hält der Arbeitgeber die Schutzmaßnahmen ein, dürfte der Lohnanspruch entfallen. Anderes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer zu einer Risikogruppe zählt. Die Bewertung all dieser Fälle wird zusätzlich durch die aktuelle Angebotspflicht der Arbeitgeber, Homeoffice zu ermöglichen oder die Pflicht der Mitarbeiter, zuhause zu arbeiten, erschwert.
Coronabedingt kann der Arbeitsausfall auch ganze Betriebe treffen – der Worstcase für den Arbeitgeber. Können die Mitarbeiter alle von zuhause aus weiter arbeiten, besteht die Fortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Andernfalls besteht eine unklare Rechtslage. Vertreten wird u. a., dass die Zahlungspflicht des Arbeitgebers aufgrund der Betriebsrisikolehre entfällt. Und was gilt, wenn die Zulieferer coronabedingt ausfallen? Hier wird der Arbeitgeber wohl weiter bezahlen müssen, da er das abstrakte Risiko der Lieferketten, Betriebsmittel und Rohstoffe trägt. Gleiches dürfte gelten, wenn der Arbeitgeber den Betrieb ruhend stellt, weil er coronabedingt zu wenig Mitarbeiter oder Lieferanten hat.
Der jüngste Unsicherheitsfaktor ist die Schutzimpfung und die Kostenfragen für Impfvorgänge im Betrieb und das Betriebsärztesystem. Da kein Impfzwang vorliegt, wird eine wichtige Frage im Zentrum stehen: Entfällt für den Arbeitgeber die Vergütungspflicht, wenn einem Mitarbeiter die behördliche Quarantäne angeordnet wird, obwohl er ein Impfangebot hatte, das er abgelehnt hat? Denkbar wäre, dass der Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz verweigert werden kann und der Arbeitnehmer die Vergütung vom Arbeitgeber einfordert. Ebenso kann fraglich sein, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch entfällt, wenn der Mitarbeiter nach einem abgelehnten Impfangebot an COVID-19 erkrankt. Fraglich wird außerdem, ob das Vergütungsrisiko bei Impfverweigerern auf den Arbeitgeber abgewälzt werden kann, wenn die Tür zum Infektionsschutzgesetz versperrt wird.
Lob für Unternehmen
Nach mehr als einem Jahr Pandemie ist allen Personal-/Rechtsabteilungen und Entscheidungsträgern in Unternehmen höchstes Lob auszusprechen, wenn sie ihre Betriebe und Belegschaften mit einer klaren und belastbaren Linie durch diesen Kostendschungel steuern. Wegen der Geschwindigkeit der Ereignisse ist zu erwarten, dass viele Unternehmen Vergütungspflichten im Zweifelsfall in Kauf nehmen, um ihren Belegschaften die notwendigen Sicherheiten zu bieten.
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