Investitionen im Gesundheitssektor

Das große MVZ-Dilemma

Alltag im OP-Saal
Alltag im OP-Saal © CCO

Arztpraxis- und Laborketten in der Hand von Finanzinvestoren sind meist die erstgenannten Beispiele, wenn es um Fehlentwicklungen im Gesundheitssektor geht. Mit „absoluter Profitgier“ werde hier operiert, brandmarkte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Healthcare-Investoren, um im selben Atemzug eine neue Version des Versorgungsgesetzes anzukündigen, das u.a. den Betrieb Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) reguliert. Wie die endgültigen Regelungen aussehen, ist noch unklar.

Überall dort, wo lukrative Fallpauschalen locken, aber komplexe Medizintechnik hohe Investitionen erfordert, ist strukturell im Vorteil, wer tiefe Taschen hat. Im realen deutschen Gesundheitssystem sind das immer öfter Private Equity-Gesellschaften. Laborbetreiber, Radiologiepraxen und Augenärzte rückten als erste in den Fokus der PEs, Zahnärzte und Kardiologen waren die nächsten. Inzwischen sind auch Orthopäden, Gynäkologen und Dermatologen an der Reihe, selbst für Allgemeinarztpraxen interessieren sich die Investoren.

Karl Lauterbachs Sorge gilt den Patienten, die je nach Region und Krankheitsbild fast automatisch in Praxen landen, die von Finanzinvestoren betrieben werden. Wenn der regionale Konsolidierungsprozess bereits weit fortgeschritten ist, so der Vorwurf, könnten die Betreiber vielleicht nicht die Kosten einzelner Leistungen, aber sehr wohl den Umfang einer Therapie beeinflussen – zugunsten der Rendite, zulasten der Versorgungsqualität. Wenn der Augenarzt ständig mit teuren Augen-OPs beschäftigt ist, so der Vorwurf, kommen einfachere Untersuchungen zu kurz; wenn ein Zahnarzt Druck bekommt, für den Umsatz mehr Zahn-OPs als eigentlich nötig zu machen, wird eben mehr gebohrt.

Die Gegenargumente sind freilich auch nicht von der Hand zu weisen: Die größeren Ressourcen der Investoren machen bessere technische Ausstattung und damit genauere Diagnosen möglich, außerdem hängt nicht mehr alles an einzelnen, womöglich zeitlich und fachlich überforderten Freiberuflern. „MVZ-Patienten sind – meistens – mobil und können den Anbieter wählen, der ihre Bedürfnisse am besten erfüllt. Dass Finanzinvestoren im Gesundheitssektor zwangsläufig die medizinische Qualität senken, ist in dieser Pauschalität sicher nicht haltbar“, meint Jörn-Christian Schulze von Arqis, der regelmäßig Private Equity-Häuser zu Transaktionen im Gesundheitssektor berät.

Die Vorschläge der Bundesärztekammer (BÄK), die Insidern zufolge die kommenden Versorgungsgesetz-Eckpunkte maßgeblich beeinflussen dürften, gehen das Dilemma von mehreren Seiten zugleich an. Zum einen sollen die ärztlichen Leiter besser gegen Einflussnahme des Betreibers geschützt werden. Für Fehler soll nicht nur der einzelne Arzt, sondern auch das MVZ sanktioniert werden können. Außerdem soll endlich, wie seit Jahren gefordert, für alle Bürger transparent offengelegt werden, welcher Betreiber hinter einem MVZ steht. „Einige Forderungen sind echte No-Brainer, die man im Grunde sofort durchwinken und abhaken kann“, sagt Matthias Wiedenfels, bei Ashurst Consultant für den Healthcare-Sektor.

Zumal die Branche gut daran täte, ihre Energie für zwei andere Punkte aufzusparen. Denn die BÄK würde gerne auch die Expansionsmöglichkeiten für Investoren massiv zurechtstutzen. Das birgt in der Tat wirtschaftlichen Zündstoff. Bisher dürfen nur Krankenhäuser oder Mediziner MVZ gründen. Finanzinvestoren übernehmen darum meist zunächst ein Krankenhaus, egal wie groß und wie rentabel, und nutzen diesen ‚Anker‘ für den Aufbau eines MVZ-Netzes, das reihenweise Arztpraxen absorbieren kann. Dass ein defizitäres Provinzkrankenhaus mit 20 Betten und Chirurgie-Schwerpunkt nominell im Zentrum einer florierenden Zahnarztpraxenkette steht, ist derzeit ohne weiteres möglich.

Die BÄK fordert nun, MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser nur noch zuzulassen, wenn ein örtlicher oder fachlicher Bezug gegeben ist. Eine solche Beschränkung, heißt es in informierten Kreisen, könnte das Interesse von Finanzinvestoren tatsächlich drastisch reduzieren. Buy-and-Build-Strategien würden dann nur noch in absoluten Ausnahmefällen Sinn machen. Zusammen mit anderen Bremsen, etwa zusätzlichem Kostendruck auf das Gründungs-Krankenhaus, könnte diese Regelung PE-Häuser nachhaltig vergraulen. Ähnliches gilt für die geforderte Rückkehr zur 2015 abgeschafften Pflicht für MVZ, fachübergreifend tätig zu werden und damit die Konzentration auf besonders einträgliche Bereiche aufzugeben. Eine solche Regelung, meint Ashurst-Berater Wiedenfels, stünde „quer zu vielen derzeitigen Geschäftsmodellen. Wenn es dazu kommt, werden die meisten Investoren umdenken müssen.“

Ob diese Änderungen tatsächlich kommen, ist offen. Existierende Strukturen bekämen praktisch zwangsläufig Bestandsschutz. Über die möglichen Folgen für künftige Investments kann man dagegen trefflich spekulieren. Auf der Website des MVZ-Betreiberverbands BBMV erklärt der Healthcare M&A-Spezialist Stephan Rau von McDermott Will & Emery, entsprechende Einschränkungen wären „mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungs- und europarechtswidrig“. Arqis-Partner Schulze hält einen solchen Vorstoß auch ohne den Gang zum Verfassungsgericht oder EuGH für „massiv kontraproduktiv“, denn gestärkt würden dadurch vor allem die großen privaten Krankenhausketten. „Der Gesetzgeber würde genau die ‚Zuweiser-Kartelle‘ von MVZ zu Krankenhaus schaffen, die er jahrzehntelang bekämpft hat.“

Vielleicht raufen sich die Stakeholder aber doch noch ohne größere Konfrontation zusammen. „Eigentlich haben alle ein Interesse an einem funktionsfähigen und bezahlbaren Gesundheitssystem. Auch und vielleicht gerade Finanzinvestoren“, meint Ashurst-Berater Wiedenfels. Dass manche trotzdem gerne die Grenzen dieses Systems austesten, wird zwar niemand bestreiten. Dass dazu auch andere Betreiber als PE-Häuser imstande sind, aber auch nicht. np

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