Drei Fragen an ...

Was bedeutet der Fall Leoni für künftige Restrukturierungen, Herr Steiger und Herr Schulz?

Patrick Schulz und Andreas Steiger
Patrick Schulz und Andreas Steiger © Sidley Austin

Lange blieb die erwartete Welle von Restrukturierungen aus, allen gesamtwirtschaftlichen Schocks zum Trotz. Doch inzwischen steigen die Insolvenzzahlen spürbar und die Konjunkturaussichten werden immer düsterer. An frisches Geld kommen längst nicht mehr alle Unternehmen, auch ohne lange Leidensgeschichte wie die des Autozulieferers Leoni.

Herr Steiger und Herr Schulz, bei Leoni hatte das StaRUG seine erste große Bewährungsprobe – mit drastischen Konsequenzen für die meisten Aktionäre, die nicht nur den Wert ihrer Anteile verloren, sondern auch vom Bezugsrecht bei der anschließenden Kapitalerhöhung ausgeschlossen wurden. Was folgt aus diesen Erfahrungen für künftige Restrukturierungsfälle?

Zunächst sind es für den Restrukturierungsstandort Deutschland gute Nachrichten, dass das StaRUG nach einem verhaltenen Start jetzt auch in großen öffentlichkeitswirksamen Fällen erfolgreich zur Anwendung kommt, wenn auch noch immer nicht in der wünschenswerten Häufigkeit. Wir beobachten, dass notwendige Vergleiche in großen und komplexeren Restrukturierungen nach wie vor vorzugsweise über englische Verfahren durchgesetzt werden.

Leoni dient insofern nicht als Blaupause für den deutschen Markt, da es sich um eine börsennotierte Aktiengesellschaft handelte. In diesen Fällen hat der wahrscheinlich folgenreichste Geburtsfehler des StaRUG – namentlich der Wegfall der ausdrücklichen Normierung des sog. „Shift of Fiduciary Duties“, also der zweifelsfreien Möglichkeit für die Geschäftsleiter, ein StaRUG-Verfahren auch gegen den Willen der Gesellschafter einzuleiten – ungleich geringere Auswirkungen als bei der in der Praxis viel häufiger anzutreffenden GmbH.

In einem solchen Fall hat etwa unlängst das Amtsgericht Hamburg in einer für uns nicht nachvollziehbaren Entscheidung den Antrag der GmbH-Geschäftsführer auf Einleitung eines StaRUG-Verfahrens ohne zustimmenden Gesellschafterbeschluss für unwirksam erklärt. Das Gericht hat damit die mit dem Thema verbundene Rechtsunsicherheit zum Störpotenzial von „Out-of-the-money“-Gesellschaftern vertieft, auch wenn wir meinen, dass es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung gehandelt hat. Somit bleibt nach Leoni trotz vorsichtigem Optimismus noch Luft nach oben.

Sofern es aber um den grundsätzlichen Eingriff in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte geht, sehen wir keine besonderen Neuerungen oder Missbrauchsgefahren durch das StaRUG. Das Instrument – einschließlich des Bezugsrechtsausschlusses – ist spätestens seit der Reform des Insolvenzplanverfahrens im Jahr 2012 bekannt sowie in einer Vielzahl von Insolvenzen eher die Regel als die Ausnahme. Das hiervon auch in außerinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren Gebrauch gemacht wird, überrascht nicht und ist oftmals auch schlichtweg erforderlich: Die Gesellschafter sind in Restrukturierungsfällen häufig „aus dem Geld“ und nicht in der Lage oder willens, die erforderliche neue Liquidität für eine nachhaltige Restrukturierung zur Verfügung zu stellen.

In einem de lege artis gestalteten Restrukturierungsplan kann den Altgesellschaftern gegen ihren Willen auch kein verbliebener Wert entzogen werden, da ein solcher Plan einer gründlichen Vergleichsrechnung unterzogen werden muss. Gerichtlich bestätigt wird ein Restrukturierungsplan gegen den Willen nicht zustimmender Beteiligter – wie etwa auch den Gesellschaftern – nur dann, wenn diese durch die Maßnahmen des Restrukturierungsplans nicht schlechter stehen, als in einem realistischen Vergleichsszenario.

In den vergangenen Wochen konnte man mehrfach beobachten, wie Debt Funds die Eigenkapital-Investments (u.a. Sausalitos) übernommen haben, deren Akquisition sie ursprünglich finanziert hatten. Ist damit bald öfter zu rechnen?

Diese sog. „Debt-to-Equity Swaps“ kennen wir bereits aus der Vergangenheit. Allerdings hat die Zahl solcher Gestaltungen in den vergangenen Jahren eher abgenommen. Hierfür gab und gibt es einige Gründe: In erster Linie einen schwachen Sekundärmarkt – vor allem im Bereich des Private Debt, aber auch bei öffentlichen Schuldtiteln – für sich in der Krise befindliche Fremdkapitalforderungen, der es Debt Funds kaum möglich gemacht hat, eine signifikante Forderungsposition aufzubauen, mit der sich eine aufwendige Übernahme des Eigenkapitals gelohnt hätte. Zweitens konnten sich aufgrund der in der Vergangenheit noch immer starken deutschen Wirtschaft viele Unternehmen mit deutlich weniger invasiven Maßnahmen retten, so z.B. einfach umzusetzenden „Amend and Extents“ der Finanzierungen.

Es zeichnet sich indes ab, dass wir mittelfristig mit zunehmender Aktivität auf dem Sekundärmarkt rechnen können. Noch entscheidender ist jedoch aus unserer Sicht, dass mehr und mehr Unternehmen mit einer sinkenden Top Line zu kämpfen haben. In diesen Fällen reichen einfache Restrukturierungslösungen nur noch selten aus. Ob dann allerdings regelmäßig die schon bei der Akquisition investierten Debt Funds oder auf solche Situationen spezialisierte Distressed Funds das Ruder übernehmen, bleibt abzuwarten.

In jedem Fall ist es kommerziell verständlich, dass auch von Anfang an investierte Gläubiger Kürzungen ihrer Forderungen, sog. Haircuts – jedenfalls ohne signifikante Beiträge der Altgesellschafter – nur dann hinnehmen, wenn etwa sie oder Dritte für die Ausreichung eines Sanierungskredits zumindest teilweise in die Eigenkapitalposition einrücken. Damit tun sich Debt Funds regelmäßig leichter als Banken. Ansonsten kommen die Altgesellschafter ohne eigenes Zutun und eigene Beiträge wieder ins Geld.

Viele Private Equity-Akquisitionen, die in der Niedrigzinsphase fremdfinanziert wurden, stehen demnächst zur Refinanzierung an; manche sehen hier schon eine Insolvenzwelle kommen. Wie begründet sind diese Bedenken?

Aufgrund der eingangs geschilderten Probleme vieler Unternehmen mit ihrer Top Line sind diese Bedenken nicht ganz unbegründet. Allerdings erwarten wir vor einer Insolvenzwelle eine zunehmende Anzahl an außerinsolvenzlichen Restrukturierungen. Viele Distressed-Investoren scharren mit den Hufen und warten auf genau solche Opportunitäten. Außerdem bleibt abzuwarten, wie sich Private Equity-Sponsoren in diesen Situationen verhalten. Letzteres lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten, sondern hängt vom jeweiligen Investment ab und ist von Fall zu Fall zu bewerten. Klar dürfte aber sein, ein derartig rascher Anstieg der Zinsen wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Über die Interview-Partner:
Patrick Schulz und Andreas Steiger sind Partner im Münchener Büro der US-Kanzlei Sidley Austin. Beide beraten zu Restrukturierungen und Insolvenzen, mit besonderem Fokus auf finanziellen Restrukturierungen und Distressed-M&A.

 

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