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Verbandsklagen – Wie Abhilfeverfahren den Finanzsektor treffen könnten

Wer amerikanische Zustände befürchtet hatte, darf sich wieder beruhigt zurücklehnen. Die Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie in deutsches Recht, die nun mit etwas Verspätung vom Bundestag verabschiedet wurde und noch vom Bundesrat abgesegnet werden muss, stellt im Vergleich mit den bereits existierenden Formen der Massenverfahren die Welt nicht auf den Kopf. Klagen nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) und Musterfeststellungsklagen bleiben auch weiter möglich.

Das neue Instrument der Abhilfeklage gilt trotzdem bereits als Schritt nach vorn für die Durchsetzung von Verbraucherrechten. Anders als bei Musterfeststellungsklagen, wie sie in den vergangenen Jahren zahlreiche Sparkassen trafen, soll nicht lediglich ein Anspruch festgestellt werden, den die Verbraucher anschließend individuell einklagen müssen. Das Abhilfeverfahren endet, wenn die Richter den Verbrauchern Recht geben, mit einem vollstreckbaren Titel. Den Gesamtbetrag sammelt dann ein vom Gericht bestellter Sachwalter ein, der auch die Verteilung der Gelder an die Verbraucher übernimmt, die sich der Klage angeschlossen haben.

Beitreten können Verbraucher, anders als bei einer Musterfeststellungsklage, noch ziemlich spät: bis drei Wochen nach Ende der mündlichen Verhandlung, wenn zwar das Urteil noch nicht gesprochen ist, aber schon sämtliche Argumente ausgetauscht wurden und vielleicht auch schon eine Richtung klar ist.

Streitpunkt Gleichartigkeit

Reine Selbstläufer dürften die Verfahren nach dem neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) indes erst einmal nicht werden. Eine zentrale Voraussetzung für Abhilfeklagen ist, dass die zugrundeliegenden Sachverhalte und relevanten Rechtsfragen „im Wesentlichen gleichartig“ sein müssen. Eine Formulierung, die reichlich Interpretationsspielraum bietet, sind sich Praktiker einig. „Es wird vermutlich einige Jahre dauern, bis der Anwendungsbereich endgültig trennscharf geklärt ist. Diese Frage dürfte früher oder später beim BGH landen, wie schon vergleichbare Fragen in Bezug auf den Anwendungsbereich des KapMuG“, sagt Yorick Ruland, Bankrechts- und Prozessführungspartner bei Görg.

Genau deshalb werden die Kläger – als solche kommen wie bei der Musterfeststellungsklage nur zugelassene Verbraucherschutzverbände infrage – vermutlich erst einmal klein anfangen. „Die deutschen Verbraucherverbände suchen sich die Angriffspunkte sehr strategisch aus“, meint Henner Schläfke, Leiter der Class & Mass Action Defense-Praxis bei Noerr. Man könne wohl damit rechnen, dass die ersten Abhilfeklagen ganz schematische Leistungsfälle betreffen werden, die schlicht auf die Zahlung eines Geldbetrags hinauslaufen – Kontoentgelte bei Verträgen etwa oder andere Gebührenmodelle, auch Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen.

Auch bei geschlossenen Fonds hat man es mit einem festen Kreis von Anlegern zu tun, die alle auf der gleichen Basis ihre Ansprüche geltend machen. Manche sind hier aber schon skeptischer. Bei schiefgegangenen Beteiligungen an Fonds dürfte die Abhilfeklage keine große Rolle spielen, prophezeit Ferdinand Kruis, Litigation-Partner bei Sernetz Schäfer. „Prospektfehler können in KapMuG-Verfahren sachgerecht geklärt werden, und der Vorwurf einer Falschberatung hängt in aller Regel von einzelnen, eben nicht gleichartigen Beratungsgesprächen ab. Allenfalls ließen sich vielleicht Ergebnisse der Robo-Advisory angreifen, aber auch hier bin ich skeptisch.“

Schwerer dürften sich VDuG-Kläger mit Themen wie der Rückabwicklung von Immobiliendarlehen wegen Fehlern in der Widerrufsbelehrung tun. „Selbst wenn der Fall rechtlich schematisch wirkt, verlangt die Rückabwicklung die Berücksichtigung einer Vielzahl von Einzelpositionen im Darlehensverlauf, entgegenstehendem Nutzungsersatz und individueller Sicherheiten. Wirklich gleichartige Verträge und Ansprüche, die ein Gericht formelhaft tenorieren könnte, gibt es praktisch nicht“, sagt Noerr-Anwalt Schläfke. Dass nicht nur individuelle Verbraucher, sondern auch Kleinunternehmen einer Abhilfeklage beitreten können, dürfte den Themenkreis hingegen erweitern. Görg-Partner Ruland hält es durchaus für möglich, dass es bald auch um Entgelte bzw. Gebühren bei Firmenkundenkrediten gehen könnte.

Es geht nicht nur um Geld

Dazu kommt, dass die deutsche Regelung prinzipiell alle zivilrechtlichen Ansprüche betrifft – „nicht nur solche, die aus europäischen Verbraucherschutzvorschriften stammen und keineswegs nur auf Zahlung gerichtete“, wie Schläfke betont. Per Abhilfeklage könnte man also auch Nachbesserung verlangen oder Zugang zu digitalen Plattformen und kartellrechtliche Ansprüche durchsetzen und einiges mehr. „Für Finanzinstitute könnte das etwa bedeuten, dass sie im Rahmen einer Nacherfüllung spezifische Dienstleistungen gewähren müssten, die sie bestimmten Kunden bisher nicht gewährten“, erläutert Ruland.

Auch wenn noch nicht ganz klar ist, bei welchen Themen bald mit Abhilfeklagen zu rechnen sein wird – auf eine grundlegende Änderung dürfen sich die potenziell Beklagten schon einmal einstellen. „Qualitativ neu ist, dass die Einwendungs- oder Einreden – zum Beispiel Verjährung, Verwirkung, Anfechtung – des verklagten Unternehmens auf ein separat zu führendes Anschlussverfahren verlagert werden“, erklärt Sernetz Schäfer-Anwalt Kruis. Ein unterlegenes Unternehmen müsse also zunächst Abhilfe schaffen, im Regelfall per Geldzahlung, und könne diese Vorleistung erst dann wieder auf dem Klageweg zurückfordern.

Zwar folgt die Beweiserhebung im Abhilfeverfahren der bekannten Zivilprozessordnung. Mit öffentlichkeitswirksamen Discovery-Schlachten wie in US-Sammelklagen ist in Deutschland also auch weiterhin nicht zu rechnen. Allerdings drohen nach dem VDuG Ordnungsgelder bis 250.000 Euro, wenn ein Unternehmen die vom Gericht geforderten Unterlagen nicht offenlegt. Ohnehin ist die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen für die Beklagten ein sehr relevantes Thema, berichtet Görg-Partner Ruland. „Welche Anordnungen der Gerichte hier verhältnismäßig sind und welche nicht, wird sicher erst einmal ausgetestet werden.“

Und auch die Wechselwirkungen mit bestimmten anderen Verfahrensformen bleiben bisher im Dunklen. Über das Verhältnis zu KapMuG-Musterfeststellungsklagen oder auch zu negativen Feststellungsklagen sagt das VDuG nämlich nichts. „Was passiert, wenn diese Klagen aufeinandertreffen oder parallel laufen? Welches Verfahren geht vor, blockieren sich die Klagen am Ende gar gegenseitig? Diese Fragen sind nicht zuletzt prozesstaktisch interessant“, meint Kruis. Auf die ersten Abhilfeverfahren darf man so oder so gespannt sein. np

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