Whistleblower-Schutz – Richten müssen es die Gerichte
Gesetzgeber auf der Zielgeraden _ Schwarze Konten bei Schweizer Banken, Absprachen beim Libor-Zinssatz, die Greenwashing-Affäre bei der DWS – die Liste der unsauberen Praktiken im Finanzsektor, die in den vergangenen Jahren durch Whistleblower aufflogen, ist lang. Seit 2019 gilt die EU-Richtlinie zum umfassenden Schutz interner Hinweisgeber, mit der Umsetzung sollten die Mitgliedsstaaten bis 2021 fertig sein.
Deutschland ließ sich Zeit und hat darum nun, wie etliche andere Mitgliedsstaaten auch, ein Vertragsverletzungsverfahren am Hals. Doch inzwischen liegt der Regierungsentwurf für das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vor, über den vor Kurzem der Bundestags-Rechtsausschuss beraten hat.
Die angehörten Experten schlugen in die bekannten Kerben: Die vorgesehenen Mechanismen, mit denen Whistleblower in Firmen ab 50 Beschäftigten geschützt werden sollen, gehen einigen NGOs nicht weit genug. Unternehmensvertretern und Verbänden gehen sie dagegen eher zu weit, und die Gewerkschaften machen sich Sorgen um den Kündigungsschutz. Mit umfangreichen weiteren Änderungen rechnet aber eigentlich niemand, denn gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Justizministerium im Frühjahr wurden bereits einige Punkte nachgebessert, besonders beim Thema anonyme Hinweise.
Unschärfen an entscheidenden Stellen
Ist der Whistleblower-Schutz damit auch in Deutschland auf das richtige Gleis gesetzt? Jein, meinen die Experten. Denn bei der konkreten Ausgestaltung des HinSchG werden böse Erinnerungen an die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 2018 wach. Die Fehler von damals würden gerade wiederholt, meint Tim Wybitul, bei Latham & Watkins Spezialist für IT- und Datenschutzthemen: „Der Gesetzgeber formuliert eine Regelung mit Unschärfen an entscheidenden Stellen, die Klärung und Anwendung bleibt dann den Gerichten überlassen. Auf diese Weise dauert es Jahre, bis klar ist, was genau nun erlaubt ist und was nicht.“ Das Thema ist alles andere als akademisch, denn bei DSGVO-Verstößen drohen enorme Bußgelder. Bis zu 1 Mio. Euro sollen auch die Strafen für Mängel beim Hinweisgeberschutz betragen.
Eine bedeutende Unschärfe entsteht gerade durch den Versuch, den Anwendungsbereich so genau wie möglich zu definieren. Im HinSchG-Entwurf ist säuberlich aufgelistet, welche Verstöße gemeldet werden können, damit ein Whistleblower unter den Schutz des Gesetzes fällt, von der Rechnungslegung bis zum Gefahrguttransport. „Schon die erste Frage, die sich ein Hinweisgeber stellen muss, werden die wenigsten Nichtjuristen beantworten können: Fällt das, was ich melde, überhaupt unter die aufgelisteten Sachverhalte?“, erläutert Tassilo-Rouven König, Partner bei der Arbeitsrechtskanzlei Naegele. Wenn nicht, entfällt der Schutz gegen Repressalien, und zurückziehen lässt sich eine Meldung nicht mehr – erst recht nicht, wenn sie an eine externe Meldestelle ging.
Risiken auch für Arbeitgeber
Umgekehrt ist nicht eindeutig festgelegt, ob und wann dieser Schutz entfallen soll, wenn falsche Meldungen gemacht werden. Gewissensgründe und Gerechtigkeitsempfinden treiben sicher die meisten Whistleblower an, doch schließlich gibt es auf der Welt auch zerrüttete Arbeitsverhältnisse und schlichtes Querulantentum. „Für Arbeitgeber könnte dabei in bestimmten Fällen kritisch werden, dass unbestimmte Rechtsbegriffe Missbrauch ermöglichen“, warnt Philipp Byers, Arbeitsrechtspartner bei Watson Farley & Williams. „Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wären Fälle, die klar und praktikabel definiert sind, doch davon ist im Entwurf keine Rede.“
Dass Whistleblower selbst entscheiden können sollen, ob sie Missstände an unternehmensinterne oder externe Stellen melden, dürfte in der Realität meistens auf den kürzeren Weg hinauslaufen. Nach der Erfahrung der Praktiker wenden sich Hinweisgeber etwa im Finanzsektor fast ausschließlich an interne Meldestellen. „Kaum jemand hat ein Interesse daran, sich erst einmal bei der BaFin durchzufragen“, berichtet Arbeitsrechtler König. Über mangelnde Arbeitslast klagen ohnehin die wenigsten Behörden. Für Konzerne ist im HinSchG die Option vorgesehen, eine zentrale Meldestelle einzurichten, etwa in der Compliance-Abteilung, statt die Struktur in jedem Tochterunternehmen einzeln aufzusetzen.
Ohne anonyme Hinweise geht es nicht
Schwarz sehen die Experten indes bei einem ganz zentralen Punkt. Anonyme Hinweisgeber werden auch im Regierungsentwurf recht stiefmütterlich behandelt, schon dadurch, dass diese Möglichkeit nur gegeben sein soll, nicht muss. Auch dort, wo anonyme Meldungen freiwillig ermöglicht würden, seien sie erkennbar nur zweite Wahl, meint Arbeitsrechtspartner Byers. Sein Kollege König wird noch etwas deutlicher. „Meine persönliche Meinung: Wie die Möglichkeit anonymer Meldungen im Regierungsentwurf geregelt ist, läuft dem Sinn und Zweck des Gesetzes völlig zuwider.“ Für viele Meldungen ist Anonymität schlicht Voraussetzung, jedenfalls beim ersten Schritt. Der Deutschen Bank, VW und vielen anderen wären mit solchen Hinweisen zur rechten Zeit vermutlich Milliardensummen erspart geblieben – und ihren Aktionären auch.
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