Was ändert sich mit dem BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung, Herr Neufeld?
Als das Bundesarbeitsgericht (BAG) im September ganz nebenbei eine Arbeitszeiterfassungspflicht für den Arbeitgeber feststellte, sahen viele gleich das Ende flexibler Arbeitszeitmodelle gekommen. Wie die Auswirkungen auf die tägliche Praxis aussehen, ist dabei alles andere als klar, denn die Urteilsbegründung soll erst im November vorliegen. In der Zwischenzeit stehen die Unternehmen vor ungeklärten Fragen.
Bedeutet das BAG-Urteil nun das Ende von Vertrauensarbeitszeit und anderen Flexibilisierungen, oder ändert sich damit gar nicht so viel?
Das Ende von Vertrauensarbeitszeit und anderer Zeitflexibilisierungen in der heutigen Zeit? Nein! So sind das BAG-Urteil und auch das Arbeitszeiturteil des EuGH aus 2019 (C-55/18) zu lesen. Die Möglichkeit von Vertrauensarbeitszeit und anderer New-Work-Konzepte wird dadurch nicht bedroht. Beide Urteile entwickeln eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die von ihren Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit zu messen. Diese Verpflichtung geht jedoch nicht mit einer zwangsläufigen De-Flexibilisierung einher. Es ist also nicht über das „Ob“, sondern vielmehr über das „Wie“ zu diskutieren. Kernfrage ist danach: „Mit welchem System kann ich als Arbeitgeber gewährleisten, dass meine Arbeitnehmer im Rahmen flexibler Arbeitszeitmodelle ihre tägliche Arbeitszeit dokumentieren können?“ Prägendes Element der Vertrauensarbeitszeit ist ja bereits heute die Flexibilisierungssteuerung des Arbeitnehmers ohne Einfluss – also mit Vertrauen – des Arbeitgebers. Dass der Arbeitgeber mangels Aufzeichnung die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers nicht kennt, ist dabei nicht relevant. Das wird häufig in der Diskussion vergessen. Dass die Einführung eines Zeiterfassungssystem mit einem gewissen organisatorischen Mehraufwand verbunden ist, liegt nahe: Welches Zeiterfassungssystem bietet sich an und wie kann es im Unternehmen etabliert und umgesetzt werden? Die Urteile machen keine konkreten Vorgaben. Was trägt der Betriebsrat mit? Was funktioniert im konkreten Betrieb und Geschäftsmodell? Dann steht flexiblen Arbeitszeitmodellen weiterhin nichts im Wege.
Was also müssen Arbeitgeber jetzt tun?
Unmittelbar nichts! Es bleibt derzeit lediglich bei der Aufzeichnungspflicht für Überstunden nach dem Arbeitszeitgesetz. Das EuGH-Urteil bindet die Arbeitsvertragsparteien nicht. Beim BAG-Urteil müssen wir alle auf die Urteilsgründe warten, die hoffentlich noch in 2022 kommen. Denn die Herleitung der Zeiterfassungspflicht durch das BAG aus dem geltenden Arbeitsschutzgesetz war für alle überraschend, vielleicht sogar ein wenig Zuviel der Rechtsfortbildung. BAG und EuGH sind nicht der Gesetzgeber. Alle Augen gehen also nach Berlin und warten auf die erforderliche gesetzgeberische Lösung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zum Thema Arbeitszeiterfassung. Das BMAS wiederum will selbst erstmal die Urteilsgründe des BAG abwarten und wartet so lange auf seiner Website mit einer – dogmatisch und praktisch – wenig hilfreichen FAQ zur Arbeitszeiterfassung auf, letztlich eine Paraphrase der Pressemitteilung des BAG-Urteils. Aber ja, Zeiterfassung wird kommen. Smarte Arbeitgeber werden das digital erledigen und die Zeiterfassung in bestehende HRM-Software einbinden. Das kann und sollte man bereits vorplanen, zumal Datenschutz und Mitbestimmung eine wichtige Rolle spielen. Umsetzungsdruck durch den Betriebsrat droht nicht; das BAG hat ein Initiativrecht des Betriebsrats in seinem Urteil abgelehnt.
Was würde passieren, wenn es im Winter zu Blackouts und damit Zwangspausen für Mitarbeiter kommen sollte? Müsste diese Arbeitszeit dann nachgeholt werden, oder verfiele sie einfach?
Blackouts werden uns vor große Herausforderungen stellen. Da die meisten Berufe heutzutage von digitalen, computergestützten Prozessen begleitet werden, wird der berufliche Alltag bei langanhaltenden, flächendeckenden Blackouts erheblich eingeschränkt oder sogar vollkommen ausgebremst werden – ein wichtiges Planungsthema für Arbeitgeber und alle Stakeholder im Rahmen ihres Business-Continuity-Managements (BCM). Hier sehe ich deutlich zu wenig Aktivität. Solche Pläne müssen formuliert und auch mit der Belegschaft kommuniziert und trainiert werden.
Ruht der Betrieb durch den Blackout, dann trifft das wirtschaftlich den Arbeitgeber (Lohnrisiko). Dass die Arbeitnehmer nicht arbeiten können, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Arbeitszeit ist nicht nachzuholen. Der Arbeitgeber kann lediglich versuchen, dieses Risiko wirtschaftlich abzufedern, z.B. durch die Einführung von Kurzarbeit, Urlaubsfestlegung oder den Abbau von Überstunden. Denkbar ist ferner, wie in der Corona-Pandemie, eine wirtschaftliche Unterstützung durch staatliche Maßnahmen.
Tobias Neufeld ist Arbeitsrechtspartner bei der Kanzlei Arqis in Düsseldorf, mit besonderen Schwerpunkten auf betrieblicher Altersvorsorge und an den Schnittstellen zu Compliance und Datenschutz.
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