Türkei – Erdogan spielt auf Zeit
Wachstum auf Pump _ Die türkische Wirtschaft wirkt angesichts der vielen düsteren Warnungen und Prognosen erstaunlich dynamisch. Der mit den Lockerungen der Pandemiebeschränkungen einhergehende Aufschwung setzt sich fort mit einer extrem starken Binnennachfrage, die sich auf die außerordentlich expansive Politik stützt. Sie wird sowohl von der monetären Seite (stark negative preisbereinigte Leitzinsen) als auch fiskalisch durch Transfers angeheizt. Präsident Recep Erdogan hat im Vorfeld der Wahlen den Mindestlohn um 55% erhöhen lassen, die Grundrente mehr als verdoppelt und ein Gesetz verabschiedet, das Mio. von Türken in den Vorruhestand versetzt. Hinzu kommt der Verlustausgleich für die Lira-Guthaben relativ zu Währungsguthaben. Das alles muss letztlich aus dem Budget bedient werden.
Dass nach wie vor ein starker Nachfrage-Überhang vorliegt, zeigt sich sowohl in der Leistungsbilanz mit einem weiter aufgeblähten Defizit von fast 50 Mrd. US-Dollar im letzten Jahr (2021: 7,23 Mrd. Dollar) als auch in der immer noch hohen Inflation von über 50%. Die damit einhergehende Abwertung der Lira erreichte in den letzten zwölf Monaten über 30%. Daneben wird die Türkei natürlich auch wie alle anderen Staaten durch die Verteuerung der Energie im Gefolge des Ukraine-Kriegs getroffen. Und der Negativtrend hält an: Allein im Januar des laufenden Jahres wurde ein Defizit von weiteren 10 Mrd. Dollar verbucht. Das Gegenstück zum Boom ist eine laufend wachsende Auslandsverschuldung. Das mittlerweile gewaltige Defizit muss gedeckt werden – zu Zeiten, in denen die Zinsen global steigen und damit auch die Risikoprämien. Zeitgleich wird die Bereitschaft der internationalen Investoren zur Risikoübernahme schwächer (d. h. teurer). Bei den Portfolio-Anlagen des Auslands war 2022 daher ein Abfluss von knapp 9 Mrd. Dollar erkennbar, während die Zuflüsse aus Direktinvestitionen (rd. 13 Mrd. Dollar) in etwa unverändert blieben. Noch bedenklicher scheint das sprunghafte Wachstum der nicht aufklärbaren Transaktionen („errors and omissions“), die es zwar in jeder Zahlungsbilanz gibt, aber selten in der 2022 erreichten Größe: Mit über 27 Mrd. Dollar stehen sie für mehr als das halbe Defizit. Man darf vermuten, dass sich hier relevante Zuflüsse verstecken, die Russland zur Hilfe beim Umgehen westlicher Sanktionen gewährt. Daneben wird in relativ großem Maßstab in die Währungsreserven gegriffen, um den Sinkflug der Lira zu bremsen. Ein Viertel des Defizits wurde so von der Notenbank finanziert.
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