„Great Transformation“ – Neue Wege der Geldanlage
Das abrupte Ende der Silicon Valley Bank hat die Kapitalmärkte aufgeschreckt. Die Hausbank für Start-ups aus der Technologiebranche hatte lange Zeit von der Popularität des IT-Sektors und dem billigen Geld profitiert. Mit den Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed ist Geld aber nun teuer geworden. Zudem hat bereits vor dem Bank-Run auf die Silicon Valley Bank die Schwäche im Technologiebereich den Liquiditätsbedarf der Start-ups ansteigen lassen.
Das Ende dieser Bank steht symbolisch auch für das Ende der Tech-Dominanz. Der Fokus der Start-ups lag in der vergangenen Dekade auf Geschäftsmodellen, die ein Blitz-Scaling erlauben – also mit allem, was sich mit viel Geld äußerst schnell hochskalieren lässt, um möglichst rasch eine dominante Marktstellung zu erreichen. Das umfasst sowohl Soziale Netzwerke aber auch (geteilte) Dienstleistungen, wie sie z. B. Uber anbietet. Durch die höheren Zinsen und die gestiegene Knappheit an Arbeitskräften ist Blitz-Scaling nun aber schwieriger geworden.
Müssen wir uns deshalb Sorgen machen? Wir denken nicht. Zum einen ist die derzeitige Schwäche im Technologie-Sektor nicht repräsentativ für die gesamte US-Wirtschaft. Zum anderen befinden wir uns am Beginn eines langfristigen physischen Investitionsbooms. Denn wir betreten ein neues Wirtschaftsregime – wir nennen es „Great Transformation“. Es ist geprägt durch mehr Wachstum und Inflation, höhere Zinsen und mehr Volatilität. Wir Anleger stehen damit vor einem gänzlich neuen strukturellen Kapitalmarktumfeld. Ausgangspunkt ist das neue geopolitische Ordnungsprinzip des Großmachtwettbewerbs zwischen den USA und China.
Die Welt, in der es mit den USA eine unangefochtene globale Führungsmacht gab, ist Geschichte. China erhebt zunehmend Anspruch auf eine Vormachtstellung. Solange die globale Vormacht der USA nie in Zweifel gezogen wurde und China lediglich als verlängerte Werkbank des Westens diente, war es möglich, die Effizienz von Lieferketten (Just-in-Time-Produktion) in den Vordergrund zu stellen. Unter Freunden sind strategische Abhängigkeiten kein Risiko. Wenn der Freund aber plötzlich zum Rivalen wird, ändert sich das Bild. Strategische Abhängigkeiten werden zum existenziellen Risiko.
Wie schnell sie zur Waffe umfunktioniert werden können, hat der Krieg in der Ukraine gezeigt – Stichwort: Gasabhängigkeit. Die Sicherung und Resilienz von Lieferketten für strategische Produkte wie Hochleistungschips, Batterien, Elektroautos oder kritische Mineralien ist deshalb zentral. Die US-Regierung arbeitet erfolgreich daran, die Lieferketten dieser Produkte ins eigene Land oder zumindest in zugewandte Länder zurückzuholen. Staatliche Investitionsanreize über fast 1 300 Milliarden US-Dollar zeigen ihre Wirkung: Mittlerweile haben nahezu alle weltweiten Chip- und Batteriehersteller milliardenschwere Investitionsprojekte in den USA angekündigt oder bereits begonnen. Damit beginnt ein physischer Investitionsboom, der nicht nur kurzfristig das Wirtschaftswachstum erhöht, sondern über den technologischen Fortschritt auch das Potenzial hat, die Produktivität und damit das Wachstumspotenzial nachhaltig zu erhöhen.
Obwohl dieser Boom vornehmlich von den USA ausgeht, werden auch europäische Unternehmen davon profitieren. Denn durch die höhere Investitionstätigkeit wird mehr Kapital nachgefragt. Der Preis für Geld, also der Zins, steigt damit. Neben strukturell höheren Zinsen ist die neue Ära auch von mehr Inflation geprägt. Grund dafür ist, dass der Investitionsboom in einigen Bereichen zu einer rasch wachsenden Nachfrage führen wird. Das Angebot wird nicht überall Schritt halten können. Die Folge ist eine höhere Teuerung. Weniger effiziente Lieferketten und mehr Resilienz werden sich ebenfalls in höherer Inflation niederschlagen. So sind eine verstärkte Lagerhaltung oder die Auswahl von verlässlicheren – aber damit teureren – Lieferanten zu erwarten. Schließlich geht mit dem Großmachtwettbewerb auch eine künstliche Angebotsverknappung einher. So werden kritische Rohstoffe nur noch aus befreundeten Staaten bezogen werden. Weniger Angebot bedeutet höhere Preise.
Inflationsraten deutlich unterhalb der Notenbankziele sind also vorbei. Auch hat das neue Umfeld Folgen für den Konjunkturverlauf. Wir erwarten die Rückkehr des klassischen Konjunkturzyklus. Durch die höheren Investitionen ist die Wirtschaft wieder stärker ausgelastet. In Zukunft werden wir deshalb häufiger Überhitzungsphasen erleben, mit Spitzen in der Inflation. Auf diese werden die Notenbanken mit Zinserhöhungen reagieren.
Der klassische Konjunkturzyklus bringt mehr Schwankungen in die Finanzmärkte. Der Großmachtwettbewerb trägt zusätzlich dazu bei. Denn dieser mündet immer wieder in ein Kräftemessen – wie etwa der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im Sommer 2022 in Taiwan gezeigt hat. Wir Anleger müssen uns neben mehr Wachstum, mehr Inflation und höheren Zinsen deshalb auf mehr Volatilität einstellen. Die Korrelation zwischen Aktien und Renten wird strukturell steigen. Ohne Änderungen in der Asset Allokation wird die Diversifikation leiden. Gemischte Portfolios werden aus der Balance geraten.
Wie müssen wir Anleger das Drehbuch unserer Portfolios in der Great Transformation anpassen? Wir empfehlen, Assetklassen zu ergänzen, die von der physischen Investitionsnachfrage und einer höheren Inflation profitieren. Ein Teil der Aktieninvestments sollte auf Infrastrukturaktien setzen. Diese Unternehmen profitieren von der Transformation der Wirtschaft und sind in der Lage, Preise im Einklang mit der Inflationsentwicklung weiterzugeben. Auch führt das neue Umfeld dazu, dass Wachstumsaktien ihre Attraktivität zu Gunsten von weniger wachstumsstarken, aber günstiger bewerteten Substanzaktien verlieren: Das Ende der Tech-Dominanz.
Wir empfehlen Anlegern, die Stile Value und Growth im Aktiendepot gleich zu gewichten. Im Rentenbereich sind inflationsindexierte Anleihen interessant, die einen Teil der klassischen Staatsanleihen ersetzen sollten, weil sie Schutz bieten vor einem Überschießen der Inflation. Daneben zählen Rohstoffe – insbesondere die Industriemetalle – zu den Gewinnern der Great Transformation. Auch sie sollten sich in den konjunkturellen Überhitzungsphasen günstig auf die Diversifikation in den gemischten Portfolios auswirken.
Und was passiert im Silicon Valley? Auch in der Great Transformation sind der Technologiesektor und neue Unternehmensgründungen von hoher Bedeutung. Allerdings dürfte sich auch dort eine Verschiebung der Investitionen von mehr oder weniger gehaltvollen digitalen Arten der Freizeitgestaltung in Richtung strategisch wichtiger Bereiche zeigen – also die Bereiche, die von staatlichen Investitionsprogrammen profitieren.