Märkte

Wie Erdogan mit dem Schicksal der Türkei spielt

Nach der Festnahme von Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu ist die Lira erneut massiv abgestürzt. Offenbar bereitet sich Präsident Erdoğan für die Wahlen 2028 vor. Dabei wird einmal mehr deutlich, warum Investoren die Türkei meiden sollten.

Dominik Görg,
Recep Tayyip Erdoğan
Recep Tayyip Erdoğan © Kremlin.ru

Am Mittwoch (19.3.) sind die türkischen Märkte massiv eingebrochen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte seinen schärfsten Rivalen, Ekrem İmamoğlu, inhaftieren lassen. İmamoğlu sollte ursprünglich am Sonntag zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Volkspartei CHP für die Wahl 2028 gekürt werden. Tags zuvor hatte die staatliche Universität Istanbul dem Bürgermeister der Millionenstadt unter fadenscheinigen Gründen bereits das Diplom aberkannt. Lt. Verfassung ist dieser akademische Grad aber eine Voraussetzung für das Amt des Präsidenten. Anleger befürchten, die Türkei könne sich jetzt von ihrer zuletzt liberaleren Wirtschaftspolitik wieder verabschieden. Nach der Festnahme İmamoğlus stürzte nicht nur die Lira um zwischenzeitlich 10% auf ein neues Rekordtief bei 41 Lira je Euro, auch die Aktienmärkte gingen auf Talfahrt.

Jetzt müssen Anleger die politische Risikoprämie der Türkei neu bewerten: Türkische Aktien sackten am Mittwoch derart abrupt ab, dass ein Handelsstopp ausgelöst wurde. Der Referenzindex Borsa Istanbul 100 fiel bei Handelseröffnung um 7%. Politische Entwicklungen haben auf den Aktienmarkt der Türkei meist stärkere Auswirkungen, da dieser von einheimischen Investoren dominiert wird: Sie halten rund zwei Drittel der Aktien. Viele Anleger trennten sich zudem von ihren türkischen Staatsanleihen, was die Kreditkosten sprunghaft ansteigen ließ. Die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen schossen um 230 Basispunkte auf aktuell 30,4% nach oben.

Die Eintrübung folgt auf die stetige Ausbildung eines Bullenmarktes in der Türkei: Im Februar sank die Inflationsrate erstmals seit Juni 2023 unter die 40%-Marke. Hinzu kamen Zinssenkungen der Türkischen Zentralbank und die Hoffnung auf engere Beziehungen zur Europäischen Union. Aufgrund der recht stabilen Situation galten Lira-Carry-Trades als attraktive Alternative zum sich auflösenden Yen-Carry-Trade. Der Ausverkauf am Mittwochmorgen wirkte sich auch auf die Terminmärkte aus: So stiegen die Overnight-Offshore-Sätze um mehr als 10 Prozentpunkte auf 48%, was auf eine Auflösung von Lira-Carry-Positionen hindeutet.

Zwar ist Finanzminister Mehmet Simsek um Schadensbegrenzung bemüht: Das Konjunkturprogramm werde entschlossen fortgesetzt, wie er versicherte. Doch in unseren Augen ist das längst nicht genug. Die jüngsten Vorfälle reihen sich ein in eine breitere Kampagne gegen Oppositionelle und Aktivisten, die aus unserer Sicht das Vertrauen in den türkischen Markt erschüttert. Auch Journalisten geraten in die Schusslinie. Um erneut Präsident werden zu können, muss Erdoğan die Verfassung ändern – auch vorgeschobene Wahlen sind nicht ausgeschlossen. Dabei sind ihm offenbar alle Mittel recht. Investoren jedenfalls wird er mit seinem autokratischen Kurs weiter verprellen.

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