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Internationaler Handel – Risiko am Roten Meer

Das vorerst jüngste Opfer der von der Houthi-Miliz verübten Attacken auf Handelsschiffe am südlichen Eingang in das Rote Meer ist der unter maltesischer Flagge fahrende Bulker „Zografia“. Er wurde nach Angaben des US-Militärs von einer ballistischen Anti-Schiffs-Rakete aus dem Jemen getroffen. Verletzte wurden immerhin keine gemeldet, das Schiff blieb seetüchtig und setzte seine Fahrt fort.

In der Folge haben Shell, die ADNOC (Abu Dhabi) und der indische Raffinerie-Betreiber Reliance Industries (ein wichtiger Lieferant von Diesel und Heizöl-Lieferant für Europa) beschlossen, das Rote Meer zu meiden und stattdessen den langen Weg um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen. Zuvor hatten unter anderem schon BP und die dänische Tankerreederei Torm diesen Entschluss gefasst. Chevron dagegen erklärte, man werde die Lage weiter „aktiv bewerten“ und anschließend entscheiden.

Diese Umleitung von Schiffen verlängert die Fahrtzeiten um etwa zwei Wochen und hat daher sowohl die Frachtraten als auch die Preise diverser Erdölderivate nach oben getrieben. So stiegen die Raten für einen 40-Fuß-Container auf den Strecken Europa-China in der Spitze um bis zu 10 000 US-Dollar. Offenbar sinkt die Zahl der Schiffe, die noch die Straße von Bab al-Mandab befahren. Aus den vorliegenden Schifffahrtsdaten geht hervor, dass Reliance in den ersten beiden Januarwochen keine Produkte für den Export nach Europa geladen hat. Die Fahrten der staatlichen ADNOC aus Abu Dhabi durch das Rote Meer sind vollständig zum Erliegen gekommen. Längere Routen bedeuten spätere Ankünfte und damit einen langsameren Zulauf an Vorräten von Erdölprodukten wie Kerosin, Benzin oder Heizöl.

Offenbar droht ein erheblicher Preisauftrieb, weil niedrige Lagerbestände und eine intensive Wartungssaison in den US-Raffinerien zum Bild gehören: Die Händler befürchten Engpässe bei der Versorgung. Nach Angaben von S&P Global lagen die Diesel- und Gasölvorräte Europas Mitte Januar bei 1,96 Mio. Tonnen, 257 000 Tonnen unter dem Fünfjahresdurchschnitt und 6% unter dem Niveau des letzten Jahres.

Diese Lage droht gleich von zwei Seiten her die Aussichten der Emerging Markets zu schmälern: Höhere Transportkosten wirken sich direkt negativ auf die Handelsströme aus und beeinträchtigen die Exporte der Rohstofflieferanten. Parallel dazu dürfte die Nachfrage der Industriestaaten zurückgehen, weil deren Wachstum durch die höheren Energiekosten erneut gedämpft wird. Damit verlieren die Emerging Markets unter dem Strich an Exporterlösen und verschlechtern ihre Position als Kreditnehmer auf den Finanzmärkten – ausgerechnet in einer Phase, in der ihre Finanzierungsmöglichkeiten ohnehin durch steigende Zinsen eingeschränkt werden.

Diese Belastungen kommen zu den Effekten der unverändert hohen geopolitischen Spannungen noch hinzu. Dieser Cocktail aus Negativ-Faktoren könnte für Investoren mit langem Atem ein Signal sein, an neue Anlagen in finanziell gut aufgestellten Emerging Markets mit starker Leistungsbilanz zu denken. mk

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