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Argentinien – Milei muss mehr als nur einreißen können

Ein Jahr Javier Milei: Der Kettensägen-Präsident überrascht mit ersten Erfolgen. Doch jetzt steht der schwerste Teil bevor: Kann er Reformen des Aufbaus durchsetzen, ohne die politische Unterstützung zu verlieren?

von Klaus Brune,
Mädchen tragen die argentinische Flagge
Mädchen tragen die argentinische Flagge © Pixabay

Vor einem Jahr trat Javier Milei das Amt des argentinischen Präsidenten mit einer klaren Mission an: Das Land wirtschaftlich zu stabilisieren und politisch aus der Krise zu führen. Mit drastischen Einschnitten in Renten, Subventionen und regionale Transfers hat er den Haushalt gestrafft und erste positive Ergebnisse geliefert. Die Inflation, die im April noch bei 290% lag, fiel bis Oktober auf 193% und damit erstmals seit Amtsantritt unter die Marke von 200%. Die bei den Argentiniern stärker beachtete monatliche Teuerungsrate liegt mit 2,7% auf dem niedrigsten Stand seit drei Jahren.

Auch auf den internationalen Finanzmärkten hinterließ Mileis Kurs Eindruck. Argentiniens Staatsanleihen erlebten eine Rally: Von nur 25 Cent pro Dollar bei seinem Amtsantritt kletterten sie auf 65 Cent. Der Merval-Index, das Flaggschiff des argentinischen Aktienmarkts, legte in diesem Jahr um fast 140% zu. Investoren honorieren, dass der Staatsschatz genügend Reserven aufbauen konnte, um 2024 Schulden in Höhe von 9 Milliarden US-Dollar zu bedienen. Und auch innenpolitisch hat Milei überraschend viel Rückenwind: Mit einer Zustimmungsrate von über 50% übertrifft er seine drei Vorgänger deutlich.

Doch der schwerste Teil steht noch bevor. Mileis nächster großer Schritt ist die Abschaffung der Währungskontrollen. Diese halten den Peso künstlich überbewertet, belasten den Export und schrecken Investoren ab. Doch die Aufgabe des festen Wechselkurses birgt immense Risiken: Eine Abwertung könnte die bisher erreichten Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung untergraben und soziale Spannungen weiter verschärfen. Schon jetzt haben die harten Einschnitte Armut und soziale Ungleichheit verschärft – ein Faktor, der seinen politischen Handlungsspielraum erheblich einschränkt.

Hinzu kommt Druck aus der Innenpolitik. Das Sondergesetz, das Mileis Deregulierungsbeauftragtem Federico Sturzenegger weitreichende Kompetenzen bei der Abschaffung von hemmender Bürokratie gewährt, gilt nur noch gut 200 Tage. Und um bei der nächsten Zwischenwahl im Oktober ein Wiedererstarken der Peronisten zu verhindern, muss Milei wirtschaftlich dringend Teilerfolge erzielen. Doch die wirtschaftlichen Realitäten lassen wenig Spielraum für populäre Maßnahmen. Der Internationale Währungsfonds erwartet für 2024 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,5%, nach einem Minus von 1,6% im Vorjahr. Für 2025 wird ein Wachstum von 5% prognostiziert – gerade genug, um die Verluste der letzten Jahre auszugleichen.

Milei hat in seinem ersten Jahr gezeigt, dass er entschlossen und fähig ist, Argentinien auf einen neuen Kurs zu bringen. Doch ob er auch die nötige politische Finesse besitzt, um die nächste Etappe seiner Reformen zu meistern, bleibt abzuwarten. Sein Erfolg hängt davon ab, ob er die Balance zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und politischer Machbarkeit findet. Denn am Ende ist es nicht nur der Mut zur Kettensäge, der zählt – sondern auch das Geschick, aus den Bruchstücken etwas Neues aufzubauen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 12.12.2024 korrigiert, um die korrekten Jahreszahlen bei den IWF-Prognosen für das Wirtschaftswachstum in Argentinien wiederzugeben.

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