Brüssel stellt Sanierungsklausel auf den Prüfstand

Die EU-Kommission untersucht seit Ende Februar 2010, ob die im Körperschaftsteuergesetz verankerte Sanierungsklausel eine unzulässige Beihilfe darstellt. Obwohl die Kommission bei vergleichbaren steuerlichen Begünstigungen von Sanierungsmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten noch keine Prüfungsverfahren eingeleitet hat, soll in der deutschen Regelung eine unzulässige Beihilfe liegen, weil sie sanierungsbedürftige gegenüber anderen Unternehmen übervorteilt. Stellt die Kommission tatsächlich einen Verstoß fest, könnte dies auch in Sanierungsfällen zu einem rückwirkenden Untergang der Verlustabzugsmöglichkeit führen, ohne dass sich die betroffenen Unternehmen auf Vertrauensschutz berufen können. Ein Gastbeitrag von Andreas Ziegenhagen, Managing Partner von Salans.

Durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurden die Auswirkungen auf bestehende Verlustvorträge einer Kapitalgesellschaft bei einem Anteilseignerwechsel neu geregelt. Bei einer Änderung der Beteiligungsverhältnisse um mehr als 25% innerhalb von fünf Jahren gingen zuvor ausnahmslos die Verlustvorträge anteilig unter, bei mehr als 50% sogar vollständig.

Die erste beabsichtigte Ausnahme für Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften wurde von der EU-Kommission als unzulässige Beihilfe nicht genehmigt und ist deshalb nie in Kraft getreten. Durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung hatte der Gesetzgeber in § 8c Abs. 1a KStG ein zunächst bis Ende 2009 befristetes Sanierungsprivileg geschaffen, das auf Grund des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes inzwischen unbefristet gilt. Nach dieser Sanierungsklausel vernichtet ein Beteiligungserwerb zum Zwecke einer Sanierungsmaßnahme nicht die vorhandenen Verlustvorträge. Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat der Gesetzgeber die Verlustnutzung auch bei reinen Konzernsachverhalten und insoweit gestattet, wie im Unternehmen stille Reserven vorhanden sind.
Die EU-Kommission hegt Zweifel, ob die Regelung mit den Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen vereinbar ist. Nach dem EU-Vertrag sind staatliche Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Auch steuerliche Vorschriften können als Beihilfen gelten, wenn dem Begünstigten vom Staat ein Vorteil durch die Verringerung seiner normalerweise zu tragenden Belastung verschafft wird.

Selektive Begünstigung

Eine unzulässige Beihilfe setzt ferner voraus, dass die betreffende Maßnahme selektiv ist, also bestimmte Unternehmen begünstigt. Entgegen den Bedenken der EU-Kommission dürfte die Sanierungsklausel keine hinreichende Selektion darstellen. Denn letztlich kann jedes Unternehmen – unabhängig von der Branche oder Größe – von der Sanierungsklausel begünstigt werden, wenn es ein Sanierungsfall wird. Selektiv wäre die Begünstigung allenfalls dann, wenn einzelfallartig bestimmte Sanierungen begünstigt würden. Selbst wenn man dies annähme, kann die Regelung noch durch die innere Logik des deutschen Steuerrechts gerechtfertigt sein, von der die Bundesregierung die EU-Kommission überzeugen muss.

Qualifiziert die EU-Kommission die Sanierungsklausel als EU-rechtswidrige staatliche Beihilfe, sind alle aus den nicht untergegangenen Verlustvorträgen erzielten Steuervorteile zurückzufordern. Die betroffenen Unternehmen dürften sich bei einer Rückforderung insoweit auch nicht auf den Vertrauensschutz berufen können. Da die Sanierungsklausel nicht von der EU-Kommission als Subvention genehmigt wurde, dürfte das öffentliche Interesse an der Rückforderung den Vertrauensschutz des Einzelnen überwiegen. Sollte also die Sanierungsklausel beihilferechtswidrig sein, so gehen die Verlustvorträge unter, soweit dies § 8c Abs. 1 KStG als Regeltatbestand bestimmt. Auf Grund der Ergänzung des § 8c Abs. 1 KStG durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bleiben die Verlustvorträge zumindest insoweit erhalten, wie im Unternehmen zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs stille Reserven vorhanden sind.

Fazit

Die Brüsseler Bedenken hinsichtlich der Sanierungsklausel können auf Grund der möglichen Konsequenzen nicht ignoriert, sondern sollten zukünftig im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Potenzielle Erwerber sanierungsbedürftiger Unternehmen müssen nicht nur gewährleisten, dass die nationalen Anforderungen der Sanierungsklausel erfüllt werden, sondern auch durch geeignete Maßnahmen den Nachteilen vorbeugen, die sich aus der EU-Rechtswidrigkeit der Sanierungsklausel ergeben können. Ebenso werden die an der Sanierung beteiligten Banken zukünftig darauf achten, dass das Sanierungskonzept das Risiko einer negativen Entscheidung der EU-Kommission berücksichtigt und ihre Interessen auch im Fall der bei einem Untergang der Verlustvorträge entstehenden Steuerlast gewahrt werden. Da die Bundesrepublik in dem beihilferechtlichen Prüfungsverfahren davon ausgeht, dass das Sanierungsprivileg EU-rechtskonform ist, brauchen die zu sanierenden Unternehmen als nationale Rechtsanwender in ihren Handelsbilanzen keine Rückstellungen für möglicherweise eintretende Steuernachzahlungen bilden. Vielmehr dürfen sie darauf vertrauen, dass die Bundesrepublik die beihilferechtlichen Bedenken der EU-Kommission ausräumt oder das Sanierungsprivileg nach dem Vorbild anderer Mitgliedstaaten auch mit Rückwirkung nachbessert.

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