„Viele M&A-Transaktionen werden sich verzögern“
investitionskontrolle _ Am 1.5.21 ist die 17. Novelle der Außenwirtschaftsverordnung (17. AWV-Novelle) in Kraft getreten. Was dies für M&A-Transaktionen und den Investitionsstandort Deutschland bedeutet, darüber hat PLATOW Recht mit Matthias Annweiler, Rechtsanwalt bei Sidley Austin LLP, gesprochen.
Herr Annweiler, das Außenwirtschaftsrecht ist nun schon zum dritten Mal binnen eines knappen Jahres geändert worden. Was hat es damit auf sich?
Die jetzige AWV-Novelle ist als Schlusspunkt einer seit längerer Zeit geplanten und schon teilweise im vergangenen Jahr erfolgten Umsetzung der sog. EU-Screening-Verordnung zu verstehen. Diese Verordnung bezweckt eine europaweite Harmonisierung der Regelungen zur Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen sowie einen Konsultationsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie waren außerdem kurzfristig weitere Ergänzungen notwendig geworden, um den Erwerb von Unternehmen, die etwa persönliche Schutzausrüstung oder wichtige Arzneimittel entwickeln oder herstellen, durch ausländische Investoren prüfen und notfalls untersagen zu können.
Durch diese Neuerungen stehen dem hierfür zuständigen Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) nun zahlreiche weitere Prüfmöglichkeiten zur Verfügung. Was sind die wichtigsten Änderungen?
Einerseits sind die Fallgruppen der sog. Schlüsselindustrien erweitert worden. Dies betrifft diejenigen zivilen Industriesektoren, die nach Ansicht der Bundesregierung besonders sicherheitsrelevant sind und damit eines besonderen Schutzes im Zusammenhang mit ausländischen Investoren bedürfen. Der bisherige Katalog von elf besonders benannten Industriesektoren wurde auf 27 erweitert. Dies betrifft vor allem die sog. Zukunftstechnologien, d. h. Unternehmen, die in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Robotik, autonomes Fahren und Fliegen, Raumfahrt, Cybersicherheit, Halbleiter oder Nuklear- und Quantentechnologie tätig sind. Der Erwerb eines solchen Unternehmens muss dem BMWi gemeldet werden und wird so lange nicht vollständig wirksam, bis das BMWi eine Freigabe erteilt hat bzw. die Prüffristen von im Regelfall sechs Monaten abgelaufen sind.
Andererseits sind die Erwerbsmodalitäten, die zu einer Investitionsprüfung führen können, erweitert worden. Neben den bisher bestehenden Prüfeintrittsschwellen, wonach ein ausländischer Investor mindestens 10% bzw. 25% der Stimmrechte erwerben musste, um eine Meldepflicht und Prüfmöglichkeit auszulösen, ist nun für die Zukunftstechnologien eine neue Schwelle von 20% hinzugekommen. Außerdem ist die Möglichkeit zur Überprüfung von Hinzuerwerben aufgenommen worden, sodass nun der Erwerb weiterer Stimmrechte oberhalb der Prüfeintrittsschwelle erneut geprüft werden kann. Schließlich werden zukünftig auch sog. atypische Kontrollerwerbe erfasst. Dabei wird einem Investor ohne den Erwerb von Stimmrechten z. B. durch zusätzliche Sitze oder Mehrheiten in Aufsichtsgremien oder der Geschäftsführung zusätzlicher Einfluss gewährt.
Viele Industrieverbände hatten eine weitergehende Konkretisierung der Fallgruppen gefordert. Welche Auswirkungen werden die nun umgesetzten Verschärfungen haben?
Zunächst werden allein durch die Erweiterung der Fallgruppen weitaus mehr Unternehmenserwerbe als bisher unter die neuen Regelungen fallen oder zumindest im Hinblick auf eine Meldepflicht geprüft werden müssen. Hinzu kommt, dass die Fallgruppen ausweislich der Gesetzesbegründung bewusst eher unspezifisch und weit gefasst sind, sodass eine scharfe Abgrenzung, ob ein meldepflichtiger Erwerb vorliegt, nicht immer möglich sein wird. Daher wird man den Beteilig-ten von M&A-Transaktionen sicherheitshalber – und um einer möglichen Unwirksamkeit des Erwerbs vorzubeugen – häufig raten müssen, den Erwerbsvorgang zu melden und die mehrmonatigen Prüffristen des BMWi abzuwarten. Zukünftig wird eine Investitionsprüfung noch häufiger bedacht und vor allem in zeitlicher Hinsicht eingeplant werden müssen. Beim BMWi werden die zusätzlichen Investitionsprüfungen auch zusätzliche Kapazitäten erfordern. Während 2020 insgesamt 159 Investitionsprüfungen durchgeführt wurden, sind in diesem Jahr bis einschließlich April bereits 142 nationale und EU-weite Prüfungen durchgeführt worden. Hier ist mangels Kapazität also wohl nicht mit schnellen Entscheidungen, sondern eher mit einem Ausschöpfen der Prüffristen zu rechnen.
Was heißt das für den Investitionsstandort Deutschland?
Für ausländische Investoren ist eine Investitionsprüfung in einem Bieterprozess regelmäßig ein erheblicher Nachteil, weil Transaktionssicherheit und -schnelligkeit wesentliche Kriterien für den Verkäufer bei der Auswahl des besten Angebots sind. Für die Unternehmen selbst wirken immer häufiger durchzuführende Investitionsprüfungen wie ein Hemmschuh bei ihren Wachstumsplänen. Erstens sind Investoren aus dem (europäischen) Ausland für deutsche Unternehmen eine wichtige Kapitalquelle. Zweitens bedeuten langwierige Finanzierungsrunden einen Nachteil im Wettbewerb um Investoren. Investitionsprüfungen beschränken letztlich auch den veräußerungswilligen Unternehmensinhaber bei der Auswahl des meistbietenden Käufers. Für die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort wäre es daher wünschenswert, wenn eine zügige Investitionsprüfung gewährleistet würde und die neuen Regelungen stringent und transparent angewendet werden.
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