Neues Werkzeug für europäische Reorganisationen
"Grenzüberschreitende Verschmelzungen stecken noch in den Kinderschuhen. Die europäische Verschmelzungsrichtlinie und ihre deutsche Umsetzung sind noch relativ jung. Die Anzahl der praktischen Fälle ist daher noch verhältnismäßig überschaubar. Dennoch kann das Institut bereits als Erfolg gefeiert werden, sagt M&A-Spezialist Jan Gernoth, Partner der Sozietät Baker & McKenzie."
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Die grenzüberschreitende Verschmelzung bietet in vielerlei Hinsicht Vorteile gegenüber anderen Reorganisationsmaßnahmen. So wird das gesamte Aktiv- und Passivvermögen als eine Einheit übertragen und die Übertragung von Verträgen und Verbindlichkeiten ist grundsätzlich ohne die Zustimmung Dritter möglich. Darüber hinaus kann die Übertragung des Vermögens zu Buchwerten und damit steuerneutral erfolgen. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass an der einen oder anderen Stelle praktische Gegebenheiten die Umsetzung grenzüberschreitender Verschmelzungen erschweren:
Vielfalt der Jurisdiktionen: Eine Vielzahl von Aspekten der Verschmelzung regelt das nationale Recht – folglich können sich die bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu beachtenden Vorschriften von Land zu Land unterscheiden. Die Grundzüge stimmen überein, die Details jedoch nicht. Entscheidend ist in erster Linie, in welchen Ländern die beteiligten Gesellschaften ansässig sind. Darüber hinaus ist relevant, ob die Gesellschaft ins Ausland herausverschmolzen oder eine ausländische Gesellschaft ins Inland hineinverschmolzen wird. Mit anderen Worten: Auch wenn der Rahmen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung europarechtlich vorgegeben ist, folgt die Verschmelzung einer italienischen auf eine spanische Gesellschaft anderen Regeln als die Verschmelzung einer dänischen Gesellschaft auf eine schwedische.
Vielfalt der Sprachen: Ein Großteil der Dokumentation muss in den Amtssprachen der beteiligten Länder abgefasst sein. Ein Teil der Dokumentation sollte sogar zweisprachig erstellt werden. Wer aber prüft, ob beide Sprachfassungen identisch sind? Der Gesetzgeber hat dazu das Register des aufnehmenden Rechtsträgers auserkoren – bei einer Verschmelzung nach Deutschland also den für die aufnehmende Gesellschaft zuständigen deutschen Rechtspfleger. Die deutschen Rechtspfleger müssten also theoretisch rund 25 Sprachen beherrschen. Wenn der gesetzliche Prüfungsauftrag wirklich wahrgenommen werden soll, müsste das bestehende Zuständigkeitssystem geändert werden und über sprachbedingte Spezialzuständigkeiten einzelner Rechtspfleger nachgedacht werden. Ob sich ein solcher Aufwand rechtfertigen ließe, ist zweifelhaft. Sinnvoller wäre eine Verständigung auf europäischer Ebene, auf Grund derer alle Mitgliedstaaten eine englischsprachige Dokumentation zulassen müssten.
Bunte Mischung
Auch die Kommunikation zwischen den Registern der einzelnen Länder ist schwierig. Deutsche Handelsregister erstellen Bestätigungen in deutscher Sprache. Ausländische Register akzeptieren oftmals Bestätigungen nur in ihrer jeweiligen Amtssprache. Dieses Dilemma wird in der Praxis regelmäßig durch die Hilfe externer Berater gelöst, die parallel Übersetzungen versenden und im direkten Kontakt mit den beteiligten Registern stehen. Auch hier sollte der europäische Gesetzgeber eine pragmatische Lösung finden, z. B. europaweit anerkannte Standardformulare zur Verfügung stellen, in die die wenigen für die Benachrichtigung erforderlichen Informationen eingetragen werden könnten.
Vielfalt der Mitbestimmung: Arbeitnehmermitbestimmung ist meist tief in den jeweiligen Rechtsordnungen verankert. Damit diese bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzungen erhalten bleibt, sieht das Verschmelzungsrecht vor, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite unter bestimmten Voraussetzungen die Mitbestimmung bei der verbleibenden Gesellschaft aushandeln können. Die Verhandlungen können sich über Monate hinziehen. Das Ergebnis kann zudem eine bunte Mischung von Rechten und Pflichten aus den verschiedenen Rechtsordnungen sein. Die Frage der Mitbestimmung sollte daher von Beginn an in die Strukturüberlegungen einbezogen werden – insbesondere in die Erörterung, ob die Verschmelzung sinnvoll bzw. innerhalb des vorgesehenen Zeitfensters möglich ist.
Fazit
Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für grenzüberschreitende Verschmelzungen hat den juristischen Werkzeugkasten um ein bemerkenswertes Instrument erweitert. Gerade bei multinationalen Reorganisationen ist das Werkzeug vielseitig einsetzbar. Der lobenswert einfache Ansatz des europäischen Gesetzgebers wird allerdings durch das Zusammenspiel der nationalen Besonderheiten zu einem komplexen Rechtsgebilde, dessen Umsetzung Zeit und Mühe kosten kann.
Grenzüberschreitende Verschmelzungen sind allerdings nicht alternativlos – so kann beispielsweise in vielen Ländern mit Hilfe von liquidationsähnlichen Rechtsinstituten ein wirtschaftlich mit der grenzüberschreitenden Verschmelzung vergleichbares Ergebnis erzielt werden. Auch Betriebspachtverträge können eine Lösung sein, mit der der Geschäftsbetrieb wirtschaftlich als Ganzes übertragen wird, ohne dass die Formalien einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beachtet werden müssen. Ob eine Alternativlösung interessant ist, ist aus den unterschiedlichsten Blickrichtungen zu prüfen – insbesondere natürlich aus steuerlicher Sicht. Entscheidend ist, dass die Handlungsoptionen im Vorfeld sorgfältig analysiert werden und aus dem Repertoire der beteiligten Jurisdiktionen die für den Einzelfall optimale Lösung entwickelt wird.
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